Robert Kubica gibt am Wochenende sein lang ersehntes Renncomeback in der Formel 1 – neun Jahre nach seinem Rallye-Unfall startet er für Williams.
Die ständigen Spekulationen ringen Robert Kubica (34) nur ein müdes Lächeln ab. „Ich interessiere mich schon lange nicht mehr dafür, was andere Leute im Fahrerlager denken. Wer Freunde in der Formel 1 braucht, sollte sich besser einen Hund kaufen“, sagt der Pole – und weiß doch, dass es in der Gerüchteküche weiter brodeln wird. Denn wie Lewis Hamilton, Sebastian Vettel oder Max Verstappen lebt und fährt er in dieser Saison unter dem Brennglas.
Neun Jahre nach seinem unfreiwilligen Ausstieg aus der Formel 1 kehrt Robert Kubica in die Königsklasse des Motorsports zurück. Von 2006 bis 2009 fuhr er für BMW-Sauber und feierte 2008 in Montreal seinen einzigen Grand-Prix-Sieg, 2010 stand er bei Renault unter Vertrag. Nun sitzt Kubica nach 3045 Tagen Abstinenz im Williams.
Sein Comeback polarisiert und teilt die Formel-1-Gemeinde in zwei Lager. Die einen sprechen vom Wunder, die anderen nennen es Wahnsinn.
Kubicas Fans verehren den gläubigen Katholiken, der in seiner Zeit bei BMW immer ein Foto des 2005 verstorbenen polnischen Papstes Karol Józef Wojtyła (Johannes Paul II.) im Cockpit hatte. Für sie ist es ein Wunder, dass Kubica überhaupt wieder Rennen fahren kann.
Rückblick: 6. Februar 2011. Bei der Rallye „Ronde di Andora“ in Italien, die er als Gastfahrer eine Woche nach den ersten Formel-1-Testfahrten der neuen Saison bestreitet, verunglückt er während der ersten Wertungsprüfung.
In Testico kommt Kubica mit seinem Skoda Fabia S2000 von der Strecke ab, prallt gegen eine Kirchenmauer und Leitplanke, die sich in sein Cockpit bohrt. Während sein Co-Pilot unverletzt bleibt, reißt beinah Kubicas rechte Hand ab, er bricht sich den rechten Arm und das rechte Bein. Der Pole verliert viel Blut, schwebt eine Woche in Lebensgefahr.
Die Ärzte können seinen rechten Unterarm in mehreren Operationen retten, die Hand wieder annähen, aber seine Rennkarriere scheint beendet. „Das war das Schlimmste für mich damals. Doch nach einiger Zeit beschloss ich, es trotz aller negativen Prognosen noch einmal zu versuchen.“
2011 muss er pausieren, er schottet sich völlig ab. Anfang 2012 rutscht er aus und bricht sich erneut das verletzte rechte Bein. Noch ein Jahr Pause. Doch Kubica kämpft und steigt wieder in ein Rallye-Auto. 2013 startet er bei vier Läufen der Rallye-Europameisterschaft und sieben der WRC 2. 2014 gewinnt er die Rallye Ronde Gomitolo di Lana.
„Es war zwar nur eine kleine Rallye“, erinnert sich Kubica, „aber für mich war wichtig, dass ich meinen rechten Arm noch gebrauchen konnte. Ich hatte einen Weg gefunden, meinen Fahrstil so anzupassen, dass die geschwächte rechte Hand kein großes Hindernis mehr war.“
So kam er seinem großen Ziel, wieder in der Formel 1 zu fahren, ein Stück näher. Doch es dauerte bis 2017, ehe Williams ihm nach dem letzten Rennen in Abu Dhabi Testfahrten anbot. Der Medienauflauf war riesig, Kubica war auf das Blitzlichtgewitter vorbereitet. Schon bei seinen Fitnesseinheiten auf dem Rad verfolgten ihn Journalisten und Fotografen. Als er nach den ersten 100 Kilometern durch die Wüste zurück ins Hotel kam, hob er seine verkümmerte rechte Hand zum Gruß und bemerkte beim Anblick der Menschenmenge gelassen: „Warum sind die alle hier? Ist der amerikanische Präsident zum Staatsbesuch?“
Das Cockpit bekam Kubica 2018 nicht, Williams gab ihm einen Vertrag als Testfahrer und das Cockpit Sergej Sirotkin. Der Russe fuhr nur einen kümmerlichen WM-Punkt ein, Williams wurde Letzter in der Teamwertung und korrigierte deshalb den Fehler 2019.
Die Begründung von Technikchef Paddy Lowe (56) klingt jetzt wie eine Entschuldigung: „Keine Grands Prix fahren zu können, das war die ganze Saison 2018 über eine Enttäuschung für ihn. Inzwischen haben wir Robert besser kennengelernt. Wir wissen jetzt, was er beitragen und leisten kann. Also sind wir zu einem anderen Ergebnis gelangt als vor zwölf Monaten.“
Und weiter: „Seine körperlichen Einschränkungen mussten wir berücksichtigen. Aber ein Jahr Arbeit mit ihm hat uns vor Augen geführt, dass Robert zu Top-Leistungen fähig ist. Seine Kompetenz stand nie infrage, seine Hingabe auch nicht. Und an den verletzten Arm denke ich gar nicht mehr. Vielleicht werden das Leute außerhalb des Rennstalls weiter thematisieren, wir hier haben das längst abgehakt.“
Die Kritiker sehen in Kubicas Rückkehr ein Sicherheitsrisiko. Weil er mit der rechten Hand das Lenkrad nicht richtig packen kann, sondern es mehr mit links schiebt oder zieht. „Was ist, wenn er beim Start mit einem abrupten Manöver einem Hindernis ausweichen muss?“, fragt Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve. „Ich bezweifle, dass dies mit der Kraft einer Hand überhaupt geht. Und wenn es einen schweren Unfall gibt, ist das Geschrei danach groß.“
Der frühere Williams-Pilot Juan-Pablo Montoya schlägt in die gleiche Kerbe. „Ehrlich gesagt, ist das Ganze ein Witz. Ich bin mir sicher, dass Robert nicht mehr hundertprozentig in der Lage ist, ein Formel-1-Auto am Limit zu bewegen.“
Robert Kubica („Ich weiß, was ich kann“) hört lieber auf Piloten, die an ihn glauben. „Robert ist einer der talentiertesten Fahrer, gegen die ich je gefahren bin“, schwärmt Lewis Hamilton, „er hat das Cockpit absolut verdient“. Und Fernando Alonso (37) ist überzeugt: „Wenn es einer schafft, dann Robert. Er hat einen Willen, den ich als unmenschlich bezeichnen würde.“