Formel 1 Sicherheit: Schwere Unfälle haben die Formel 1 schon immer sicherer gemacht. Jetzt zieht die FIA auch aus dem Crash von Romain Grosjean ihre Lehren
Der Unfall von Romain Grosjean in Bahrain 2020 hat gezeigt, wie sicher die Formel-1-Autos schon sind. Trotzdem arbeitet der Automobilweltverband FIA weiter daran, die Rennwagen noch sicherer zu machen. Dafür wurde auch der Grosjean-Crash analysiert. Die Details liegen nun vor.
Fest steht nun: Der Wagen zwängte sich durch die erste und zweite Etage der dreistöckigen Leitplanke und wurde dabei in zwei Teile gerissen. Laut FIA krachte der Haas mit Tempo 192 km/h in einem Winkel von 29 Grad in die Schiene. Dabei wirkte eine Verzögerung von 67g auf Fahrer und Auto.
Weil die Benzin-Verbindung zur Sicherheitsblase des Tanks abgerissen wurde, trat Kraftstoff aus, der sich entzündete. Sogar die Batterie der des Hybridsystems wurde zerrissen. Der eine Teil blieb am Monocoque haften, der andere riss mit dem Antrieb ab. Grosjeans linker Fuß wurde in der angeknacksten Sicherheitszelle eingeklemmt. Der Franzose konnte sich nur befreien, weil er aus dem Schuh schlüpfte. Dann beförderte er die Kopfstütze und das Lenkrad aus dem Auto, um aus dem brennenden Rennwagen zu klettern. Die gesamte Prozedur dauerte 27 Sekunden.
Da waren die Helfer schon vor Ort. Das Rennen wurde 5,5 Sekunden nach dem Aufprall abgebrochen. 11 Sekunden nach dem Aufprall traf das Medical Car ein. Das ging so schnell, weil Fahrer Alan van der Merwe eine zuvor besprochene Abkürzung nahm. Rennarzt Simon Roberts forderte einen Marshall umgehend an, Löschschaum rund um das Auto zu verteilen. Am Ende ging alles gut – auch weil Helm und feuerfester Overall ihren Dienst erfüllten.
Aus diesem und 18 weiteren schweren Unfällen hat die FIA ihre Schlüsse gezogen. In folgenden Bereichen wird ab 2021 reagiert:
Autos:
Korrektur der Frontgeometrie der Überlebenszelle, zusätzliche Belastungstests
Überprüfung des Reglements in Sachen Rückspiegel
Überprüfung der Anforderungen für die Lenksäule
Überprüfung für Reglement und Homologationsbedingungen von Kopfstützen
Analyse der Motoranlenkpunkte
Vertiefte Arbeit an Radhalteseilen
Überprüfung des Designs von Kraftstoff-Sicherheitsblasen in sämtlichen Einsitzerklassen der FIA
Empfehlungen, wie Kraftstoff-Sicherheitsblasen besser ins Fahrzeug integriert werden können
Höherer Standard für Kraftstoff-Sicherheitsblasen
Überprüfung der Designs von Kraftstoffverbindungen und Inspektionsklappen
Überprüfung von Kraftstoff in Bezug auf Interaktion mit dem Material der Kraftstoff-Sicherheitsblasen
Rennstrecken:
Aufwertung der Software zur Berechnung von Aufprall-Wahrscheinlichkeit an zahlreichen Stellen der Strecken
Überprüfung aller bestehenden Öffnungen von Leitschienen
Überprüfung der Abnahmeprotokolle für Strecken-Homologation und Lizenz-Ausstellung
Sicherheitsausrüstung Fahrer:
Untersuchung zur Verbesserung der Hitzeresistenz von Handschuhen
Erforschung besserer Visierverschluß-Mechanismen, die auch bei Feuer funktionieren
Erforschung der Feuerlösch-Systeme für Autos mit offenem Cockpit
Medizin und Rettung:
Erforschung heutiger Leitschienen in Bezug auf bessere Widerstandskraft
Erforschung neuer Materialen für Prallschutz, die einen größeren Aufprallbereich effizient abdecken
Erforschung von Feuerlöschern und Schutzbekleidung der Feuerwehrleute
Es sind die dunkelsten Stunden der Formel 1. Die Momente, wenn der Sport grausam werden kann. 32 Rennfahrer fanden im Formel-1-Auto an einem offiziellen Grand Prix Wochenende den Tod – rechnet man Testfahrten und Nicht-WM-Rennen mit, sind es sogar 52. Doch sie machten die Serie damit jedes Mal auch ein Stück sicherer.
+++ 1970 starb Jochen Rindt (28) in Monza. Die Bremswelle war gebrochen und der Österreicher nicht korrekt angegurtet. Rindt rutschte beim Aufprall in der ultraschnellen Parabolica im Auto nach vorn. Zwei Jahre später wurde der Sechs-Punkt-Gurt Pflicht.
+++ 1994 verunglückten in Imola Roland Ratzenberger (33) und Ayrton Senna (34) tödlich. Es war das schwärzeste Wochenende der Formel 1. Noch während der Saison wurden Strecken entschärft, indem zusätzliche Schikanen in 27 besonders gefährliche Kurven eingebaut wurden. Später wurde das HANS-System (Head And Neck Support) wurde entwickelt, das den Kopf-und Halsbereich der Fahrer schützt.
+++ 1998 kam es in Spa zu einer Massenkarambolage mit 13 Autos. Abgerissene Reifen flogen durch die Luft. Zur Saison 1999 mussten die Pneus deshalb mit einem Kabel an den Autos befestigt werden.
+++ Weil 2000 in Monza und 2001 in Melbourne Streckenposten durch umherfliegende Reifen getötet wurde, müssen die Seile mittlerweile aus stabilerem Kevlar bestehen. 2000 waren „nur“ zwei Seile vorgeschrieben, seit 2018 sind es drei Halteseile.
+++ 1999 musste Michael Schumacher in Silverstone seinen schwersten Formel-1-Unfall erleben. Die Bremse war defekt, eine Entlüftungsschraube nicht richtig festgezogen. Schumi raste in Stowe frontal in die Reifenstapel und brach sich das rechte Bein. 2006 kamen deshalb erstmals sogenannte TecPro-Barrieren aus Kunststoff und Schaumstoff zum Einsatz, die den Aufprall besser abfedern.
+++ 2009 löste sich im Qualifying zum GP Ungarn eine 800 Gramm schwere Metallfeder vom Auto von Rubens Barrichello (47), traf Felipe Massa (38) am Kopf. Das Visier des Brasilianers wurde durchdrungen, Massa wurde über dem linken Auge verletzt und zwei Tage ins künstliche Koma versetzt werden. Seit 2011 müssen die Fahrer deshalb über dem Visier ein Band aus stabilen Zylon haben, das auch bei schusssicheren Western zum Einsatz kommt.
+++ 2014 erlitt als bisher letzter Formel-1-Pilot Jules Bianchi (25) tödliche Kopfverletzungen. Direkte Konsequenz dieses Unfalls ist der Cockpitschutz Halo und das virtuelle Safetycar.
Erst 1952 führte die Formel 1 eine Helmpflicht für Fahrer ein, erst 1967 eine Gurtpflicht.
1970: Aus Sicherheitsgründen müssen die Fans nun mindestens drei Meter von der Strecke entfernt stehen. Zwischen Strecke und Boxengasse wird eine Trennmauer zur Pflicht.
1971: Fahrer müssen im Brandfall binnen fünf Sekunden das Cockpit verlassen können (wird getestet).
1975 erst wird feuerfeste Kleidung Pflicht
1972: Damit Fahrer bei Überschlägen nicht mehr aus dem Wagen schleudern, wird der Sechs-Punkt-Gurt Pflicht – zwei Jahre nach Jochen Rindts Unfall.
1978: Professor Dr. Sid Watkins wird erster Chefarzt der Formel 1. Die medizinischen Rahmenbedingungen verbessern sich nun immer mehr.
1979: Die Cockpit-Öffnungen werden größer, damit man den Wagen im Notfall leichter verlassen kann. Einige Fahrer treten erstmals mit fünfschichtigem, feuerfestem Overall an, darunter Niki Lauda.
1980: Ein Streckenkrankenhaus wird vorgeschrieben, 1986 auch ein Rettungshubschrauber.
1981: Das Kohlefaser-Monocoque etabliert sich und wird um den Fußbereich erweitert.
1985: Erste Crashtests für die Frontpartie des Rennwagens finden Eingang ins Reglement. Ab 1988 gibt es solche Belastbarkeitstests auch für das gesamte Monocoque. Über die Jahre werden die Regeln weiter verschärft und auf weitere Bauteile ausgeweitet.
1991: Tests für Überrollbügel, Gurte und Überlebenszelle.
1992: Erstmals wird der Einsatz des Safety-Cars genau geregelt. Zuvor kam es nur sporadisch zum Einsatz.
1994: Nach dem Tod von Ayrton Senna, der in Imola verunglückt, werden auf verschiedenen Kursen 27 Kurven in der laufenden Saison entschärft.
1994: Kein Renntempo mehr in der Boxengasse. Im Training sind nur noch 80 km/h erlaubt, im Rennen 120 km/h.
1995: Seitliche Crashtests werden eingeführt.
1997: Jedes Auto muss ab sofort einen Unfalldatenschreiber an Bord haben. Außerdem muss nun auch das Heck Aufpralltests standhalten.
1999: Damit Reifen bei Unfällen nicht zum tödlichen Geschoss werden, müssen sie durch Halteseile am Cockpit befestigt werden.
2000: Die Aufprallgeschwindigkeit beim Frontcrashtest steigt von 13 auf 14 Meter pro Sekunde. Die Kohlefaserwände des Cockpits müssen mindestens 3,5 Millimeter dick sein.
2001 werden die Cockpitwände höher gezogen.
2003: Das Head-and-Neck-Support-System (HANS) wird eingeführt, es stabilisiert und schützt Kopf und Nacken des Fahrers beim Unfall.
2005: Die Schutzpolster im Cockpit werden verstärkt. Die Halteseile der Reifen müssen nun Kräften von bis zu sechs Tonnen widerstehen. Frontflügel und andere aerodynamische Bauteile dürfen nicht länger aus beliebigen Materialien bestehen. Extrahartes Kevlar wird Pflicht.
2006: Erstmals wird mit Tecpro-Barrieren als Streckenbegrenzung experimentiert. Die Kunststoffblöcke absorbieren 40 % mehr Energie als herkömmliche Reifenstapel.
2011: Über dem Visier müssen Helme nun ein Zylon-Band haben, das die Fahrer vor herumfliegenden Teilen schützt.
2015: Komplettes Chassis mit Zylonschutz, einem schusssicheren Material.
2016: Nach Jules Bianchis tödlichem Crash mit einem Bagger in Suzuka wird die virtuelle SafetyCar-Phase eingeführt.
2018: Cockpitschutz Halo wird Pflicht, drei statt zwei Halteseile aus Kevlar an den Reifen.
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