Der neue Vertrag zwischen Mercedes und Lewis Hamilton ist in trockenen Tüchern und beinhaltet eine Stiftung, die sich für Gleichberechtigung einsetzt. Ein Interview aus 2017 zeigt, wie der Brite wirklich tickt.
Die Vertragsverlängerung zwischen Lewis Hamilton (36) und Mercedes – sie ist endlich da. Am Montagmittag wurde der neue Kontrakt verkündet – pünktlich im 12 Uhr deutscher Zeit. High Noon sozusagen. In der Pressemitteilung spricht das Team von einem Kontrakt über ein Jahr. Eine Option auf ein weiteres wird nicht erwähnt.
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Das sei die Entscheidung beider Parteien gewesen. Teamchef Toto Wolff: „Ich glaube, Lewis möchte alles darauf konzentrieren, bestmögliche Voraussetzungen für den achten Titel zu schaffen. Gesamtwirtschaftlich gesehen haben wir auch ein schwieriges Umfeld. Von daher haben wir uns beide gedacht, dass wir uns diese 2022-Diskussionen gerne jetzt sparen wollen, um einfach mit der Saison zu beginnen.“
Heißt auch: Im Sommer werden die Fragen schon wieder losgehen: Hängt der Brite ein weiteres Jahr dran? Tritt er zurück? Oder wechselt er doch noch mal die Farbe des Teams? Fest steht: Man sei sich einig (schriftlich oder mündlich lässt Mercedes offen) früher über 2022 zu verhandeln als über 2021.
Die Details kennen sowieso nur Hamilton und Mercedes selbst. Inklusive aller Optionen, Klauseln, Gehaltsbestandteile.
Viel interessanter ist deshalb der menschliche Aspekt, den die Pressemitteilung offenbart. Denn Hamilton war es auch ein wichtiges Anliegen, seine Position in der Königsklasse und bei Mercedes zu nutzen, um weiter für Gleichberechtigung zu kämpfen.
„Ich bin entschlossen, den Weg fortzusetzen, den wir begonnen haben, um den Motorsport für künftige Generationen vielfältiger zu gestalten“, so der Brite. „Ich bin dankbar, dass Mercedes meinen Aufruf, dieses Thema zu adressieren, so stark unterstützt. Ich bin stolz, sagen zu können, dass wir die Bemühungen in diesem Jahr weiter intensivieren, indem wir eine Stiftung für mehr Vielfalt und Inklusion in unserem Sport gründen. Ich bin inspiriert von allem, was wir gemeinsam aufbauen können.“
Bereits 2020 hatte sich Hamilton stark für „Black Lives Matter“ engagiert und seine Fahrerkollegen zum gemeinsamen Kniefall vor dem Rennen aufgefordert – mit dem Leitspruch: „End Racism“. Der siebenmalige Weltmeister entwickelt sich damit immer mehr zum Muhammad Ali der Formel 1.
Wie der Mercedes-Star tickt, zeigt unter anderem ein Interview, das die Reporter von F1-Insider.com bereits beim GP Österreich 2017 mit dem heute siebenmaligen Champion für Auto Bild und Sport Bild geführt haben – und das wir hier in Teilen anlässlich der Vertragsverlängerung erneut veröffentlichen.
Mister Hamilton, wir versuchen heute mal andere Wege zu finden, um in Ihre Seele zu blicken.
Lewis Hamilton: Ihr T-Shirt ist ein sehr guter Anfang (der SPORT BILD-Reporter trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Muhammad Ali“):
Was bedeutet Muhammad Ali für Sie?
Sehr viel. Er ist der größte Sportler aller Zeiten für mich. Nicht nur wegen seiner Erfolge, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit, seiner Zivilcourage. Wegen der Werte, für die er eingestanden ist. Für sein soziales Engagement. Dafür, was er für alle Schwarzen rund um den Erdball getan hat. Wie er sich konsequent für die Menschenrechte eingesetzt hat. Er ist einfach eine Legende.
Haben Sie ihn jemals kennengelernt?
Ja, aber da war er schon sehr von seiner Krankheit gezeichnet. Er konnte sich kaum noch bewegen. Er wusste glaube ich auch gar nicht, wer ich bin. Aber für mich war das ein erhebendes Erlebnis.
Kennen Sie seine Geschichte?
Ja, ich habe Bücher über ihn gelesen, auch Filme über sein Leben angeschaut. Mein Vater war schon ein großer Fan von ihm. Ich weiß Bescheid.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Gelernt ist das falsche Wort. Man kann von niemand anderen etwas lernen, weil wir alle Individuen sind. Aber er hat mich extrem inspiriert.
Auch weil er für bestimmte Werte stand: Ehrlichkeit, eisernen Willen, Tapferkeit, Unbeugsamkeit?
Wofür ich stehe, weiß ich noch nicht ganz genau. Da müsste ich erst mal lange drüber nachdenken. Aber, ja, das spielt sicher unbewusst eine große Rolle für mich. Fest steht: Er war ein Diamant, der hell leuchtete. Auch heute noch schaue ich mir Videos über ihn an. „Rumble in the Jungle“ zum Beispiel. Wenn ich mal nicht so gut drauf bin, hilft mir das.
Kann man Muhammad Ali mit Ayrton Senna vergleichen? Ein weiteres Idol von Ihnen.
Nur sehr schwer. Sie prägten verschiedene Epochen. Sie übten verschiedene Sportarten aus. Aber ja, eines verbindet die beiden: Ihr großes Herz. Und die Energie, die sie mir geben.
Als Sie nach dem Qualifying in Montreal den Replika-Helm von Senna bekamen: Was ging da in Ihnen vor?
Es war sehr emotional. Ich wusste davon nichts. Aber wenn wir schon von Menschen reden, die mich inspiriert haben: Bitte vergesst nicht Nelson Mandela. Er war kein Sportler, aber für mich auch einer der größten Menschen überhaupt. Ich bin sicher, Muhammad Ali würde sagen, dass Nelson Mandela der Größte überhaupt war. Mandela war jahrelang im Gefängnis, weil er für seine Werte stand. Und Ali war ganz vorne in der Protestbewegung, die Nelson Mandela befreien wollten. Ali setzte sich auch extrem für Hurricane Carter ein – einen farbigen Boxer, der unschuldig im Gefängnis saß. Kennen Sie den?
Natürlich. Bob Dylan machte einen Song über ihn. Über acht Minuten lang…
…ja, und Denzel Washington spielte ihn im Film grandios.
Wir sind auf jeden Fall auf einem guten Weg, Ihre Seele nach außen zu kehren…
Ja, hängt ja auch immer von Euren Fragen ab. Die Story von Hurricane jedenfalls ist für mich eine der traurigsten und größten überhaupt.
Könnte die Formel 1 nicht auch gut einen Muhammad Ali oder Hurricane Carter gebrauchen? Oder reden wird gerade mit einem?
Nein, nein, hier ist alles anders. Ganz ehrlich: Ich mag Boxen eigentlich lieber. Da kämpft Mann gegen Mann und nicht Mensch und Maschine. Es ist auch weniger Politik. Manchmal würde ich mir wünschen, dass Muhammad Ali den ganzen Müll aus mir rausholt, indem er mir sagt: „Hey Man, ich versohl Dir jetzt den Hintern. Komm zu Dir!“
Sie wissen aber auch, dass Ali extrem große Eier brauchte. Er riskierte sein Leben für seine Werte. Seine Brüder im Geiste MalcolmX und Martin Luther King wurden einfach erschossen.
Ich weiß. Unglaublich. Es war eine schwierige und faszinierende Zeit. Aber er stand für seinen Glauben ein. Bedingungslos.
Eine Gemeinsamkeit mit Ali haben Sie aber: Er hatte das Boxen, um seine Ziele zu erreichen. Sie den Motorsport. Sie beide waren in Ihrer Kindheit nicht auf Rosen gebettet. Entwickelt man da diesem extremen Siegeswillen?
Kann sein. Aber ich habe das alles ja nicht alleine geschafft – mein Vater hat mich enorm gefördert. Er ist auch ein Idol von mir. Sollte es irgendwann mal einen Film über meine Geschichte geben, spielt er eine wichtige Rolle.
Wer könnte Sie spielen?
Weiß ich nicht. Am besten irgendein junger, unbekannter Schauspieler am Beginn seiner Karriere. Die erste Szene könnte jedenfalls der kleine Lewis im Kart sein. Die Formel 1 würde nur fünf Minuten ausmachen. Leute verbinden Formel 1 immer nur mit Geld verdienen. Aber das ist doch gar nicht, um was es geht. Es geht doch um Wettbewerb. Mit sich selbst und den anderen.
Wären sie lieber in früheren Zeiten gefahren, als die Rennfahrer noch mehr Männer waren und größere Risiken eingingen?
Ich liebe das Fahren. Das liebte Ayrton auch. Subjektiv gehe ich auch heute die gleichen Risiken ein,
wie es Ayrton tat. Limit ist immer Hundertprozent. Das Limit finden, das ist es, worum es geht. Egal, mit welchen Autos oder mit welchen Auslaufzonen.
Senna ist ein gutes Beispiel. Er fuhr Alain Prost 1990 in Suzuka bei Höchstgeschwindigkeit ins Auto, wurde nicht bestraft und war danach Weltmeister. Wissen Sie, warum?
Ja, weil sie ihn vorher betrügen wollten. Er machte das, was alle wollten. Er sorgte für Gerechtigkeit.
Ist das eine der Wahrheiten, die auch wichtig für Sie sind?
Ja, ich will zu allem stehen können, was ich mache.
Sie wollen wie Ali auch selbst der Größte sein, schreiben Sie in ihren Profilen in den sozialen Medien. Wie wichtig ist deshalb WM-Titel in diesem Jahr?
Nicht wichtiger als alle anderen auch. Es ist immer schwer, zu gewinnen. Wichtiger ist das Gefühl, alles dafür getan zu haben. Und der Weg dorthin. Wie man gewinnt, ist wichtiger als das Gewinnen an sich. Ich will nichts geschenkt haben – weder von Rennkommissaren noch von der Technik.
Michael Schumacher ist mit sieben WM-Titeln statistisch der beste Formel-1-Fahrer aller Zeiten. Würden Sie ihn gerne einholen?
Ich weiß, ich habe in einem Interview ohne Worte mit Ihnen mal gezeigt, dass ich gerne acht Titel holen würde. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich noch lang genug hier bin, um das zu schaffen.
Kann es passieren, dass Sie morgens aufwachen und keine Lust mehr haben?
Das wird so bald nicht passieren, weil Motorsport immer noch das Zentrum meines Lebens ist. Ich liebe den Sport und gebe alles für ihn. Aber wenn es passiert, dann genau so. Dann würde ich auch sofort aufhören.“
Mindestens ein Jahr ist Lewis Hamilton nun noch dabei in der Formel 1. Er ist drauf und dran, den achten WM-Titel zu gewinnen. Motorsport ist immer noch das Zentrum seines Lebens – doch die Gedanken, die er schon 2017 im Gespräch mit uns formuliert hat, setzt er mehr und mehr in die Tat um.
Lewis Hamilton, der Muhammad Ali der Formel 1.
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