Kommentar: Formel-1-Reporter Ralf Bach bewertet, warum Valtteri Bottas Sebastian Vettel im Namen von Mercedes eine Absage erteilen kann
Toto Wolff hatte in der Öffentlichkeit zumindest noch versucht höflich zu sein. Sebastian Vettel habe bei Mercedes zwar nur Außenseiterchancen, aber immerhin schulde man es einem vierfachen Weltmeister, ihm nicht sofort eine Absage zu erteilen. Das waren die Worte des Mercedes-Motorsportchefs in einer Videokonferenz vergangene Woche.
Sein Fahrer Valtteri Bottas, dessen Cockpit das einzig vakante bei Mercedes ist, für das Vettel überhaupt infrage kommt, übernimmt nun die öffentliche Formulierung der Absage an den Noch-Ferrari-Star.
Der Finne beim TV-Sender Sky über seinen Arbeitgeber Mercedes und dessen Teamchef Toto Wolff: „Wir waren die ganze Zeit sehr ehrlich miteinander über die Vertragssituation, und ich habe die klare Auskunft erhalten: Nein, sie beschäftigen sich nicht mit Seb.“ Bottas legt dann noch nach: Er finde die Gerüchte über Vettel und Mercedes deshalb witzig. Ob es Mercedes und sein Manager Toto Wolff allerdings ebenso witzig finden, dass der Finne Interna ausplaudert? Sicher nicht.
Allein: Wie kann es zu so einer verqueren Konstellation kommen, in der ein Vierfachweltmeister sich von einem Möchtegern-Wingman, einem Nummer-2-Piloten, der im dominanten Silberpfeil nicht mehr als sieben Rennen gewinnen konnte, eine derartige Watsch’n einfängt? Es liegt im aktuellen System der Königsklasse begründet.
Und er selbst hat es in den letzten Jahren immer wieder angedeutet, der Sebastian Vettel. Dass seine Formel 1 nicht mehr das ist, was sie einmal wahr: Wie bitter muss es für ihn sein, jetzt festzustellen: Leistungen spielen eine immer unbedeutendere Rolle. Selbst als vierfacher Champion droht er durch die neuen Machtverhältnisse und Interessenskonsortien durch den Rost zu fallen.
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Wichtiger als Talent ist es heute einen superreichen Vater zu haben. Ein Lance Stroll etwa, der bisher eher durch Langsamkeit als durch spektakuläre Rennen auffiel, hat dank seines Daddys die Chance auf ein Aston-Martin-Werkscockpit, eines Tages vielleicht sogar auf einen Platz in einem echten Siegerteam, wenn der Herr Papa seinem Lance-Darling das auch noch kauft oder Aston Martin dazu macht.
Bei dieser Interessenslage gibt es für ein Supertalent wie Vettel, den Zimmermannssohn aus Heppenheim, der sich seine Erfolge selbst geschnitzt hat, keinen Platz mehr.
Auch Strolls kanadischer Landsmann Nicholas Latifi hat seinen Platz bei Williams sicher. Talent hat Latifi ebenfalls nicht viel, aber einen Vater, der noch mehr Geld haben soll als Stroll. Der gab dem mittlerweile zum Verkauf stehenden Williams-Team schon vergangenes Jahr ein Darlehen über zig Millionen Euro. Williams hängt jetzt an seinem Tropf. Gut möglich, dass ihm bald das ganze Team gehört.
Und dann gibt noch den russischen Milliardärssohn Nikita Mazepin, vermutlich der talentfreieste der drei Hätschelsöhne. Dessen Vater Dmitry will schon seit Jahren ein Formel-1-Team als Spielplatz für seinen Sprössling kaufen. An Force India scheiterte er und brach deshalb fast einen Streit mit Stroll senior vom Zaun. Nun – so hört man – zeigt er Interesse an Renault oder Racing Point – für den Fall, dass Stroll sich doch noch ein besseres Team unter den Nagel reißt. Ziel: Seinem Filius das Spielzeug zu schenken, das in F1-Kreisen Rennauto heißt.
Da kann Vettels Vater, der ehrliche Zimmermann aus Heppenheim, in der Tat nicht mehr mithalten.
Und dann sind da noch die mächtigen Manager. Nicolas Todt beispielweise hat als Sohn von FIA-Teamchef Jean Todt seinen Schützling Charles Leclerc politisch bei Ferrari so positioniert, dass Vettel teamintern die Unterstützung verlor. Das ging so weit, dass der Monegasse einen Fünfjahresvertrag bekam.
Auch Valtteri Bottas hat gut lachen. Er wird von einer Firma betreut, an der Toto Wolff beteiligt ist. Auch wenn der Franzose Didier Coton offiziell als Manager des Finnen gilt, kann sich Bottas zur Fraktion jener Fahrer zählen, die zu Wolffs Revier gehören. Genau wie George Russell (Williams) und Esteban Ocon (Renault). Sie alle sind folgerichtig erste Wahl, wenn es um die Besetzung des Mercedes-Cockpits neben Superstar Lewis Hamilton geht.
Und Vettel? Der Heppenheimer ist sein eigener Manager. Er zahlt keine Millionen an einen Strippenzieher im Hintergrund. Die einzigen Trümpfe, die der bodenständige Hesse in der Hand hat: Ehrlichkeit, Integrität und vier WM-Titel. Wie viel aber solche unspektakulären Eigenschaften in der Formel 1 von heute noch wert sind, muss sich erst noch zeigen.
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