McLaren-Mercedes könnte große Überraschung in der Formel 1 werden. Mittelfeld extrem eng zusammen. Haas ist Schlusslicht.
Selten war es nach Testfahrten schwerer, ein klares Bild der Machtverhältnisse zu bekommen. Statt an sechs oder acht Testtagen wie zu früheren Zeiten hatten die Teams diesmal nur dreimal die Möglichkeit, ihre neuen Autos jeweils für acht Stunden einem Härtetest zu unterziehen. Was bedeutet: Die Teams waren mit verschiedenen Programmen unterwegs, mit verschiedenen Spritmengen, mit verschiedenen Reifen.
Trotzdem konnte F1-Insider.com eine Tendenz herauslesen. Red Bull ist dabei leicht vor Mercedes, McLaren könnte für die große Überraschung sorgen, Hass ist im Moment noch hinten. Beim Rest geht es extrem eng zu.
Interessant ist es, wie viel Zeit die Teams, die es 2020 in die dritte Qualifying-Session geschafft haben, beim Test im Vergleich zum letzten Qualifying auf der gleichen Strecke bei ähnlichen Bedingungen vor fünf Monaten verloren haben. Durch die beschnittene Aerodynamik bei den 2021er Autos soll der Verlust dabei circa sechs Zehntel betragen. Der Rest könnte auf die Spritmenge beim Testen zurückzuführen sein. Die Faustregel in Bahrain: Zehn Kilo mehr Gewicht bedeuten eine vier Zehntel langsamere Rundenzeit.
Red Bull
„Der beste erste Saisonauftakt-Test, den ich bei Red Bull je erlebte,“ freute sich Chefberater Helmut Marko (77) bei F1-Insider.com. „Wir hatten keine Probleme, das Auto reagierte so wie wir es wollten, der neue Honda-Motor hielt, was die Daten vorher versprochen hatten.“
Bei Red Bull glaubt man, dass man bei den Tests knapp die Nase vorne hatte. Marko: „Wir wissen aber auch, dass Mercedes mit mehr Benzin gefahren ist und nicht alles gezeigt hat. Trotzdem wären sie auch abgetankt nicht ganz an uns herangekommen. Denn besonders Max Verstappen hat noch viel Luft nach oben.“
Soll heißen: Der Niederländer spielte mit dem Auto, quetschte besonders mit der weichen Reifenmischung bewusst noch nicht alles aus sich heraus. Eins wurde aber schon klar: Auch der erfahrene Red Bull-Neuling Sergio Perez kann mit dem Speed des Supertalents auf einer Runde nicht mithalten. Trotzdem traut man dem Mexikaner eine Menge zu. Marko: „Perez wird im Rennen extrem stark sein und eine Menge Punkte einfahren.“
Fest steht: Red Bull hat das Auto extrem verbessert, Honda den Motor. Marko: „Wenn man die Cockpitaufnahmen verfolgt, hatte man den Eindruck, dass Max im Mercedes von letztem Jahr saß und die Mercedes-Fahrer in unserem Auto von 2020.“
Was Marko meint: Hamilton und Bottas mussten den Mercedes immer wieder mit hektischen Lenkbewegungen einfangen, während Verstappen kaum am Lenkrad korrigieren musste. Im Vergleich zum Qualifying 2020 verlor Red Bull 1,3 Sekunden. Das deutet darauf hin, dass die Österreicher ihre schnellsten Runden nicht im Qualifying-Trim gefahren sind.
Mercedes
Eins ist klar: Weit hinter Red Bull liegt der Titelverteidiger nicht. Der Rückstand zur Qualifying-Zeit 2020 betrug 2,8 Sekunden. Der Unterschied ist zum größten Teil mit der hohen Spritmenge zu erklären, die der Seriensieger der letzten Jahre bei den Tests an Bord hatte. Die Konkurrenz rechnet mit 60 bis 70 Kilo. Auch die volle Leistung des Motors hat Mercedes noch nicht aufgedreht. Deshalb täuschen die Rundenzeiten im Vergleich zum Herausforderer Nummer eins Red Bull.
Fest steht aber auch: Mercedes hat noch Handlingsprobleme, speziell auf der Hinterachse. Die ist besonders in schnellen Kurven nur sehr schwer zu bändigen. Hamilton drehte sich zweimal, vermutlich aus diesem Grund. Das Problem könnte an den Bargeboards liegen. Diese Leitbleche sollen für eine optimale Luftströmung sorgen. Konkurrenten vermuten, dass die Mercedes-Bargeboards Probleme machen und deshalb für nicht genügend Abtrieb im Heckbereich sorgen.
Deshalb sei auch Mercedes anders als bei den Tests in den Jahren zuvor mit großen Messgittern gefahren, um Strömungsdaten zu bekommen. Schon beim „Filmtag“ am Dienstag, bei dem nur maximal 100 Kilometer Distanz erlaubt sind, will Mercedes dem Problem auf die Spur kommen. Spätestens beim ersten Rennwochenende wollen die Favoriten das Problem dann behoben haben.
McLaren
Die Mannschaft vom deutschen Teamchef Andreas Seidl überraschte zunächst mal damit, dass sie ohne Probleme alle geplanten Fahrprogramme abspulen konnten – was erstaunlich ist, weil das Traditionsteam vom Renault- auf den Mercedes-Motor umgestiegen ist. Grund: Ein Wechsel des Antriebsstrangs sorgt beim ersten Test normalerweise für mehr Komplikationen. Der problemlose Test zeigt entsprechend die enge Zusammenarbeit zwischen der Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth und den McLaren-Technikern in Woking. Der Rückstand zur eigenen Qualifyingzeit – damals noch von Renault angefeuert – betrug 1,6 Sekunden.
Soll heißen: Trotz der im Vergleich zum Renault stärkeren Mercedes-Power im Rücken fuhr auch der „Orangepfeil“ mit noch reichlich Sprit an Bord. Bei McLaren selbst schätzt man sich mit Aston Martin und Alpha Tauri mitten im Kampf um Platz drei liegend. Die Konkurrenz hält das für untertrieben und glaubt, dass McLaren schon um Siege mitfahren kann. Besonders der innovative Diffusor, bei dem die Briten andere Wege als die Konkurrenz gehen, soll der Grund für McLarens Understatement sein. Er wird schon jetzt genau beäugt, um im Notfall kopiert zu werden.
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Aston Martin
Der „grüne“ Mercedes ist am schwierigsten zu beurteilen, weil das Team von Neuzugang Sebastian Vettel die meisten Probleme hatte. Besonders der Deutsche verlor etliche „Eingewöhnungskilometer“ wegen eines Getriebedefekts, der viel Zeit kostete. Die hätte er aber bitter nötig gehabt. Vettel: „Das Auto ist anders zu fahren, der Motor erfordert eine andere Herangehensweise, das Lenkungsverhalten ist neu für mich, ebenso manche Systeme. Nichtsdestotrotz bin ich guter Dinge. Ich muss jetzt das Rennwochenende zu weiteren Studienseminaren nutzen.“
Die Zeiten des „Aston-Mercedes“, so wird der „Grünpfeil“ wegen der bekannt engen Zusammenarbeit mit dem Mercedes-Werksteam im Fahrerlager bereits genannt, waren wenig repräsentativ. Am letzten Tag absolvierten Vettel und Teamkollege Lance Stroll nur Rennsimulationen mit vollen Tanks. Die 1:30,4 Minuten, die Stroll schon am ersten Testtag fahren konnte, als die Bedingungen eher schlecht waren, geben ein wenig Aufschluss. Sie zeigen, dass der Aston Martin sehr schnell sein kann, wenn alles funktioniert. Auch der Rückstand zur 2020er-Qualifyingzeit von 2,1 Sekunden zeigt deutlich, dass bei Strolls Bestzeit noch genügend Benzin im Tank war.
Prognose: Wenn Vettel seine Eingewöhnungsphase hinter sich hat und die Technik keine Mucken mehr macht, wird der Deutsche um Podiumsplätze, womöglich sogar um Siege fahren können.
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Alpha Tauri
Das Red-Bull-Schwesterteam erstaunte durch extrem schnelle Zeiten, besonders Rookie Yuki Tsunoda begeisterte dabei. Red Bull selbst sieht Alpha Tauri irgendwo zwischen Platz vier und sechs, im engen Kampf mit Ferrari, Alpine-Renault und Aston Martin. Tsunoda fuhr seine Zeiten mit der weichsten Reifenmischung und wenig Sprit. Deshalb betrug der Rückstand zu 2020 auch „nur“ 0,6 Sekunden. Auffällig ist, dass die Ähnlichkeit zum Schwesterauto von Red Bull immer größer wird – was den Alpha Tauri noch stärker gemacht hat.
Ferrari
Die Scuderia hat einen klaren Schritt nach vorne gemacht, der hauptsächlich vom neuen Motor kommt. Auch auf der Chassis-Seite verbesserte Ferrari das Auto, aber um Siege können Charles Leclerc und Carlos Sainz noch nicht mitfahren. Realistisches Ziel muss es sein, im Laufe der Saison unter die Top-4 zu kommen, um dann 2022 wieder den Angriff auf die Spitze zu starten. Podestplätze könnten in dieser Saison aber möglich sein, wenn man selbst keine Fehler macht und die Topteams schwächeln.
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Alpine-Renault
Das Team von Formel-1-Heimkehrer Fernando Alonso machte einen guten Eindruck, ist aber noch nicht endgültig einzuschätzen, was seine wahre Leistungsfähigkeit betrifft. Die Rennsimulationen besonders vom zweifachen Weltmeister Alonso waren sehr gut. Einzuordnen ist er rein vom Speed auf einer Runde im Bereich von Alpha Tauri und Ferrari. Fest steht aber: Alonso fährt souverän wie eh und je, als hätte der Spanier nie Pause von der Königsklasse gemacht. Auffällig ist: Der Alpine funktioniert auf den härteren Reifenmischungen besser als auf den weichen. Deshalb ist er im Rennen stärker einzuordnen als im Qualifying.
Alfa Romeo
Schon jetzt behauptet Kult-Finne Kimi Räikkönen, dass der Alfa schneller ist als im vergangenen Jahr – trotz der Einschnitte in der Aerodynamik. Alfa profitiert dabei natürlich auch vom neuen, stärkeren Ferrari-Motor. Die schnellen Zeiten auf einer Runde (Platz vier) fuhr der Finne im Qualifying-Trim mit wenig Sprit und den superweichen Reifen. Dennoch könnte es Alfa gelingen, ab und zu aus eigener Kraft in die Punkte zu fahren.
Williams
Das Traditionsteam hat die rote Laterne abgegeben und sich extrem verbessert. Was aber nicht schwer war, weil das Auto des vergangenes Jahres in den Bereich Fehlkonstruktion einzuordnen ist. Williams profitiert in diesem Jahr von mehr Unterstützung durch Mercedes. Die Stuttgarter wollen so ihren „Junior“ und zukünftigen Hoffnungsträger George Russell stärken. Gerade der Brite könnte deshalb – besonders auf Powerstrecken – für manche Überraschung in Form von Punkten sorgen.
Den großen Sprung will Williams 2022 machen. Dann schmeißt das Traditionsteam seine Vorsätze über Bord. Bisher bestand Williams immer auf Unabhängigkeit und konstruierte Getriebe und hintere Radaufhängungen selbst. Im nächsten Jahr übernimmt man wie Aston Martin den kompletten Antriebsstrang von Mercedes. Hochrechnungen ergeben, dass dieser Schritt das Auto mindestens eine halbe Sekunde schneller machen wird.
Haas
Mick Schumachers US-Team mit russischem Kleid muss sich im Moment mit dem letzten Platz begnügen. Das ist aber keine Überraschung, denn Teamchef Günther Steiner verzichtete auf eine größere Weiterentwicklung des Autos, verwendet sogar die gleichen Chassis.
Wie Alfa gewinnt Haas durch den stärkeren Ferrari-Motor von 2021. Für Team und Fahrer gilt die Saison als Lehrjahr, um 2022 mit neuem Auto, auf das man sich schon in dieser Saison konzentriert, anzugreifen.
Fest steht: Die Zusammenarbeit mit Ferrari wird immer intensiver. Die Scuderia wird alles tun, um das Team und damit seinen „Junior“ Mick Schumacher zu stärken. Schumi junior ist jedenfalls enthusiastisch bei der Sache. Seine Hauptaufgabe wird sein, so schnell wie möglich zu lernen und flotter zu fahren als sein russischer Teamkollege Nikita Mazepin. Ein Selbstläufer ist das aber nicht, denn Mazepin – wie Schumacher Neuling in der Königsklasse – hat bei den Tests bewiesen, dass er auf Augenhöhe mit dem Deutschen fahren kann.
Mazepins Einfluss beim Team ist dabei trotz der Ferrari-Verbindung nicht zu unterschätzen. 50 Millionen Euro, so munkelt man im Fahrerlager, ließ sich sein Vater das Sponsoring bei Haas mit seiner Firma Uralkali kosten.
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