DTM-Boss Gerhard Berger über Verstappen vs. Leclerc, Vettel, Schumacher und Senna
Im Exklusivinterview mit F1-Insider.com spricht DTM-Boss und Formel-1-Legende Gerhard Berger über das WM-Duell zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc, Vettels Misere bei Aston Martin und die ewigen Vergleiche von Mick Schumacher mit seinem Vater Michael
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Herr Berger, wie finden Sie die Formel 1 der neuen Generation?
Gerhard Berger (62): Es ist klar zu erkennen, dass es einen neuen Boom gibt. Besonders in den USA. Das ist der Königsklasse bisher trotz einiger Versuche nie gelungen. Den neuen Erfolg in den Staaten hat die Netflix-Doku gebracht, auch wenn ich kein großer Freund davon bin. Denn als Insider erkennt man gleich, dass die Serie gekünstelt ist und dramatisiert wurde. Das macht aber nichts, weil die Doku ganz auf den jungen Fan, besonders eben aus den USA, zugeschnitten ist. Der Formel 1 hat das genutzt. Deshalb gibt es jetzt diesen großen Hype. Die Rennen in Austin und Miami sind restlos ausverkauft, mit Las Vegas kommt im nächsten Jahr ein drittes dazu. Wahrscheinlich folgt noch ein viertes. Was der Formel 1 natürlich auch hilft: Dass Ferrari wieder siegfähig ist. Und: Es gibt wieder richtige Zweikämpfe.
Aus der Sicht eines ehemaligen Topfahrers – welchen Piloten bewundern Sie im Moment am meisten?
Mehrere. Fangen wir mit Fernando Alonso an. Er ist ein Typ mit Ecken und Kanten, der immer noch auf höchstem Niveau fährt. Im Rennauto ist er ein Tier. Es ist schade, dass er sich politisch nicht immer glücklich verhalten hat, sonst hätte er mehr als zwei Titel. Wahrscheinlich vier oder fünf. Wie auch immer: Er gefällt mir einfach so, wie er ist. Dann Max Verstappen. Obwohl er noch so jung ist, hat er schon eine Menge Erfahrung. Mit seiner Fahrzeugkontrolle und Aggressivität ist er ein absolutes Highlight in der Formel 1. Und natürlich Lewis Hamilton. Sportlich ist er mit seinen Titeln ein absoluter Ausnahmepilot. Von den jungen Fahrern beeindrucken mich Lando Norris und George Russell, weil sie konstant liefern. Junge Piloten haben manchmal Durchhänger und schwanken in ihrer Leistung, aber die beiden liefern konstant ab. Bei ihnen kann man sagen: Sie sind Champions der Zukunft. Auch Alex Albon macht mir Freude. Er fuhr ja letztes Jahr in der DTM, kam jetzt durch Williams zurück in die Formel 1 und macht dort einen sehr guten Job.
Haben Sie nicht Charles Leclerc vergessen?
Ja, den beobachtete ich schon seit seiner Zeit im Kart. Er ist zusammen mit meinem Neffen Lucas Auer Kart gefahren. Ich erinnere mich noch gut: Wir waren bei einem Rennen in Monaco und ich stand in der Rascasse-Kurve. Es war nass und ich habe mir die Jungs angeschaut. Später bin ich zu Lucas gegangen und habe ihm gesagt: ,Da fährt jemand mit gelben Handschuhen. Schau dir dessen Linie an. Der ist extrem gut.‘ Das war Charles Leclerc. Ich habe damals auch Prinz Albert gesagt, dass er mit Leclerc einen ganz jungen Monegassen hat, der in der Formel 1 landen wird. Albert erinnerte sich später daran und meinte lächelnd zu mir: ,Du hattest Recht‘“.
Jetzt fährt er mit Ferrari um den Titel…
…ja aber letztes Jahr habe ich wegen Leclerc eine Wette gegen Martin Brundle verloren. Er setzte auf Carlos Sainz, ich auf Leclerc. Ich war ganz sicher, dass Sainz gegen Leclerc als Teamkollege keine Chance hätte. Am Ende des Jahres war Sainz vorne. In dieser Saison zieht ihm Leclerc wieder davon. Aber auch, weil Sainz sehr viel Pech hat. Wahrscheinlich ist Leclerc die Speerspitze bei Ferrari, trotzdem will ich bei den beiden noch abwarten. In Imola hat Leclerc einen Fehler gemacht. Das hätte ihm nicht passieren dürfen.
Warum so hart?
Um Weltmeister zu werden, reicht es nicht, nur schnell zu sein. Man muss auch taktisch fahren können. Mal schauen, ob er das hinbekommt. In Imola hat er einen dritten Platz weggeschmissen, weil er zu fahrlässig durch die Schikane gefahren ist und sich deshalb gedreht hat.
War der Druck des Heimrennens zu groß?
Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Durch die Erfolge am Anfang hat er eher Rückenwind von den Fans gespürt. Er hat einfach zu viel riskiert. Wenn es um den Sieg gegangen wäre, hätte ich es verstanden. Aber wenn du Weltmeister werden willst musst du schon mal die Rechnung im Kopf machen und auch mal einen dritten Platz nach Hause fahren, wenn nicht mehr geht. Du kannst dem anderen im Getriebe hängen, Druck machen und dann auf einen Fehler hoffen. Aber du darfst nicht selbst zu großes Risiko gehen. Das hat er aber getan und so viele Punkte an Verstappen verloren. Deshalb bin ich gespannt, ob er diesen Überblick in Zukunft behält. Das wäre beispielsweise einem Lewis Hamilton niemals passiert. Der hat das im kleinen Finger. Im letzten Jahr war Lewis immer da und wenn es gepasst hat, hat er auch gewonnen.
Warum ist Mercedes-Teamkollege George Russell im Moment schneller als Lewis Hamilton?
Ich würde das nicht unter schneller einordnen. Russell ist ein junger Rennfahrer, der im Moment jedes Risiko geht, um gut auszuschauen. Lewis geht diese Risiken nur noch ein, wenn es in die Weltmeisterschaft einzahlt. Wenn es um elfte Plätze geht, fährt er seinen Stiefel runter, riskiert aber nicht viel. Das sieht man auch bei Sebastian Vettel: Wenn es um etwas geht, dann wachsen die wahren Champions über sich hinaus. Was bei Lewis dazukommt: Er hat im letzten Jahr die WM auf dramatische Weise verloren. In seinem Kopf dreht sich alles darum, so lange zu fahren, bis er mit seinem achten Titel der erfolgreichste Rennfahrer aller Zeiten ist. Er weiß aber, dass er dafür nicht mehr ewig Zeit hat. Das beschäftigt ihn und ich glaube, er hat dieses Jahr schon abgehakt, um dieses Ziel zu erreichen.
Wie geht er damit um? Wird er die Lust vollends verlieren?
Nein, denn sein achter Titel ist seine Motivation. Ich glaube, er denkt jetzt schon an nächstes Jahr. Da will er wieder Weltmeister werden. Also sagt er sich: „Was müssen wir nächstes Jahr besser machen, damit ich wieder den Titel gewinnen kann.“
Und Sebastian Vettel?
Eins ist klar: So gut wie eh und je ist er nicht mehr. Aber das ist normal. Im ersten Teil deiner Rennfahrerkarriere gehst du immer große Risiken ein, treibst das Auto ständig ans extreme Limit. Dann baut man Erfahrung auf und verliert ein wenig die Aggressivität. Das gleicht sich dann aus. Zu dem Zeitpunkt ist man am Höhepunkt. Ich war das zwischen 28 und 30. Da hatte ich die beste Mischung aus Aggressivität, Risikobereitschaft und Erfahrung. Dann geht die Kurve aber wieder nach unten. Deshalb ist Sebastian sicher nicht mehr auf seinem Höhepunkt, aber er hat so viel Erfahrung, dass er immer noch ganz vorne fahren kann, wenn es passt.
Aber es passt im Moment nicht bei ihm mit seinem Aston Martin. Wie lange tut er sich den Frust noch an?
Das muss er beantworten. Ich denke, dass der Aston Martin in den ersten Rennen schlechter abschnitt als er ist. In Imola dagegen schaute er besser aus, als er ist. Denn es ist nicht normal, vor einem Hamilton ins Ziel zu kommen. Das weiß Sebastian sicher auch.
Wer ist, wenn man alle Eigenschaften eines Rennfahrers zusammenzählt, im Moment der beste Fahrer in der Formel 1?
Ich denke, das ist immer noch Lewis Hamilton. Weil Max Verstappen zwar eine Aggressivität in sich hat, die meistens von Vorteil ist, aber eben manchmal noch Punkte kostet. In dieser Beziehung ist Lewis noch berechnender. Lewis macht nur die Tür zu, wenn er genau weiß, dass eine Kollision zu seinem Vorteil ist. Er macht sie aber nicht zu, wenn er dadurch Nachteile hätte und wichtige Punkte verlieren könnte. Max ist voll auf Siege programmiert, ist immer im Überholmodus. Meistens geht sich das auch aus, aber eben nicht immer. Vom reinen Speed her ist Max vorne.
Wenn Sie Formel-1-Teamchef wären. Was wäre Ihre Wunsch-Fahrerpaarung?
Ganz klar Max Verstappen. Dazu eine klare Nummer zwei, weil ich mir es nicht antun würde, dass einer dem anderen immer die Punkte wegnimmt. Würde ich aber denken wie Frank Williams, der immer nur die schnellsten haben wollte, egal ob die sich dann ins Auto fahren, dann würde ich neben Verstappen Lando Norris oder George Russell nehmen.
Wie sehen Sie die Situation von Mick Schumacher? Wie gut ist es für ihn, jetzt den starken Kevin Magnussen als Teamkollegen zu haben?
Das ist gut für Mick. Denn es ist in der Formel 1 nur eine Frage der Zeit, bis du auf gute Fahrer als Teamkollegen triffst. Magnussen ist zwar kein Ausnahmepilot, aber ein sehr guter Rennfahrer, derer seine Sachen beisammen hat und Punkte einfährt, wie man sieht. Deshalb ist es wichtig für Mick, Magnussen als Messlatte zu haben, weil er seine Leistung dann besser einordnen kann. Klar: Wenn Mick ihn nicht irgendwann schlägt, dann hat er ein Problem. Gerade als Junger musst du in einzelnen Trainings oder unter schwierigen Bedingungen auf dich aufmerksam machen und dann den Älteren schlagen. Du musst nicht unbedingt in der Meisterschaft vorne sein, aber du musst klar zeigen, dass du der Schnellere bist. Das muss er dieses Jahr schaffen.
Wie wichtig ist es überhaupt, einen guten Teamkollegen zu haben?
Es ist das Wichtigste überhaupt. Aber du musst am Ende schneller sein. Grundsätzlich treibt dich ein guter Teamkollege immer an. Man arbeitet mehr, geht immer ans Limit, nicht nur im Auto. Das ist wichtig. Es gibt aber auch Ausnahmefahrer wie Michael Schumacher oder Lewis Hamilton. Die arbeiten immer am Limit und bringen ihre Höchstleistung, egal was der Teamkollege macht. Ich habe immer gerade so viel gearbeitet, um meine Teamkollegen zu schlagen. Das hat auch wunderbar geklappt, bis ich auf Ayrton Senna traf. Die Geschichte kennen wir.
Ist Ayrton Senna für Sie der beste Rennfahrer aller Zeiten?
Ja. Sportlich sehe ich Lewis Hamilton auf gleicher Stufe. Aber Senna hatte dazu noch diesen speziellen Charme und ein irres Charisma. Bei seiner Beerdigung in Sao Paulo säumten Millionen von Menschen die Straße auf dem Weg zum Friedhof. Zu seinen Lebzeiten hat das Team oft eine Nachricht erhalten, dass der jeweilige Präsident ihn gern mal treffen würde. Er war eine einmalige Mischung. Er war extrem nett und las im Motorhome die Bibel. Er setzte sich auch extrem für Sicherheit ein, sagte nur kluge Sachen. Auf der Rennstrecke später ist er dir dann aber über den Kopf gefahren. Das war Ayrton.
Bei all diesen Legenden; diese Frage muss man jetzt mal stellen: Wie hätte Michael Schumacher im gleichen Alter wie Mick gegen Magnussen ausgesehen?
Michael war ein anderes Kaliber, das muss man so sagen. Auch wenn Mick sich nichts Besseres wünschen konnte, als Michael zum Vater zu haben. Michael hat ihm die Gene mitgegeben, hat ihm das Feld bereitet. Jeder freut sich über Erfolge von Mick, auch aus Respekt seinem Vater gegenüber. Aber Michael war von Beginn an ein Ausnahmefahrer. Dazu kam: Er wurde beim Mercedes-Junior-Team extrem gut ausgebildet, konnte dort mit einem sehr schnellen Gruppe-C-Wagen fahren. Das heißt, er war schnelle Autos schon gewohnt, als er in die Formel 1 kam. Dazu kam das extreme Talent, sein überirdischer Ehrgeiz und seine Arbeitsauffassung. Man tut Mick keinen Gefallen damit, ihn mit diesem Überfahrer zu vergleichen. Mick muss seinen eigenen Weg gehen und das wird er auch. Er genießt großartige Unterstützung von allen. Egal ob es emotional ist, finanziell oder technisch. Es liegt an ihm. Die Arbeit muss er jetzt selbst machen.
Ist es nicht besonders schwierig, wenn Nachkommen den gleichen Sport ausüben wie ihre Überväter?
Da habe ich schon oft drüber nachgedacht. Ich muss Mick und die anderen wie Bruno Senna mal verteidigen: Sie sind behütet aufgewachsen und mussten nie richtig kämpfen. Da fehlt dann am Ende der Killerinstinkt, den man aber braucht, um ganz nach oben zu kommen. Michael wollte natürlich, dass es seinem Sohn so gut wie möglich geht. Das ist völlig klar, alle Eltern wollen das. Aber es nimmt dir von vornherein den Kampfgeist. Als Vater suchst du deinem Sohn das beste Team aus, kaufst ihm das beste Material und lässt dann auch noch deine Kontakte spielen, um dem Filius die besten Ingenieure und Mechaniker zu besorgen. Die Kinder Piquets sind da noch so ein Beispiel. Die mussten nicht so hart kämpfen wie Nelson, ihr Vater. Selbst Senna musste sich quasi von der Straße hocharbeiten. Michael sowieso, aber auch ein Sebastian Vettel übernachtete mit seinem Vater bei den Kartrennen im Zelt und schraubte selbst an den Karts rum. Da fehlt der nächsten Generation dann die Basisarbeit. Nur bei Max hat das so richtig funktioniert.
Wieso gerade bei Max Verstappen?
Weil Papa Jos zu den Kartzeiten gnadenlos hart zu ihm war. Selbst als Zuschauer war man schockiert und dachte: So geht das aber nicht. Ich könnte nicht so zu meinem Sohn sein. Heute muss ich aber sagen: Max ist ein Ausnahmerennfahrer, ist menschlich ein feiner Kerl und macht alles richtig. Also war die harte Schule von Papa Jos wohl doch die richtige.
Man könnte auch sagen: Wegen Papa Jos hat Max auch die harte Hand von Red-Bull-Chefberater Helmut Marko nichts mehr ausgemacht…
Berger (lacht): Kann man so sagen. War bei mir ähnlich. Ich habe am Anfang ja auch mit Helmut Marko gearbeitet. Der ließ mich erst mal den LKW waschen. Aber es war gut so: Denn da ich Helmut gut überstanden hatte, konnte mir auch ein Enzo Ferrari, Frank Williams oder Ron Dennis nichts mehr anhaben.
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