Fortsetzung von Bernie Ecclestones Grüße aus Quarantäna. Der ehemalige Formel-1-Chefvermarkter spricht auf F1-Insider.com über die Formel 1, Ferrari und Mercedes
Auch in der Isolation lässt Bernie Ecclestone (89) sein Lebenswerk nicht los. Die Formel 1, die er in den Siebzigern aus einer Art Versammlung von Garagisten, die alle zwei Wochen mehr aus Leidenschaft denn aus Geschäftssinn um den Kreis fuhren, zu einem der größten Sportevents des Planeten gemacht hat.
FOLGE 1: BERNIE ECCLESTONE GRÜSST AUS QUARANTÄNA
Er verfolgte die Geschehnisse der letzten Wochen genau. Er hat eine klare Meinung, äußert sie aber nur, wenn man ihn fragt. „Das Krisenmanagement in Australien funktionierte nicht“, kritisiert Ecclestone, „eine geordnete Kommunikation bis zur endgültigen Absage des Rennens fand nicht statt. Das hat sich im Prinzip bis heute fortgesetzt. Und zwar bei allen Verantwortlichen.“
Was er den neuen Chefvermarktern vom US-Medienkonzern Liberty raten würde? „
Die glauben zu wissen, was sie tun“, sagt Ecclestone, „aber die Formel 1 hat eine europäische DNA. Du kannst sie und ihre Protagonisten nicht so führen, als wäre es Football oder Basketball.“
Es werde zu viel geredet, aber zu wenig geführt. Er nennt ein Beispiel: „Ich wurde ja oft kritisiert, weil ich positiv über Diktaturen sprach. Das wurde aber zum Teil missverstanden oder mein britischer Humor wurde für bare Münze genommen“, sagt der Mann, dessen Lieblingsfilm immer noch Charlie Chaplins Hitler-Persiflage „Der Große Diktator“ ist.
Ecclestone: „Ich meinte damit nicht, dass man die Demokratien abschaffen sollte. Natürlich nicht. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass es einzelne Personen geben muss, die Entscheidungen treffen, wenn es darauf ankommt. Das sieht man während der Corona-Krise mehr denn je. In der Formel 1 hat jedenfalls Demokratie nie funktioniert.“
Der Brite nennt den Grund: „Ich kam mir vor wie ein Kaiser, der ständig mit Fürsten reden musste, die einzig und allein nur an sich dachten. An ihren ureigenen Gewinn. Aber nicht ans ganze Land. Also musste ich öfter mal ein Machtwort sprechen oder ihnen Angst machen. Sonst hätte es mit der Formel 1 nie so funktioniert.“
Einen Skandal wie das private Abkommen zwischen der Automobilbehörde FIA und Ferrari hätte er nie zugelassen. „Was soll das?“, fragt sich der Brite.
„Entweder hat jemand betrogen oder eben nicht. Das FIA-Statement klang doch wie ein Schuldeingeständnis von Ferrari. Warum hätten sie sich sonst überhaupt darauf eingelassen? Die anderen Teams müssen jetzt hart bleiben und im Notfall vor Gericht ziehen. Es geht schließlich um mehrere Millionen von Preisgeldern, die ihnen zustehen.„
Ecclestone weiter: „Als 2007 McLaren in den Spionageskandal involviert war, ließ ich es erst gar nicht zum Prozess kommen. Wir disqualifizierten McLaren nachträglich und bestraften sie mit Hundert Millionen Dollar. Die anderen Teams rückten logischerweise in der Preisgeldtabelle auf. Alles wurde transparent aufgearbeitet.“
Dass es heute soweit kam, habe auch mit Führungsschwäche zu tun. Der Brite: „Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ist ein sehr guter Techniker. Das sieht man ja daran, dass sein Motor brillant war – aus welchen Gründen auch immer. Aber ist er deshalb auch ein guter Chef, der ein Team leiten soll? Ich meine nicht. Er lacht immer nett, egal ob die Sonne scheint oder es regnet. Egal ob Ferrari gewinnt oder verliert. Das strahlt nicht gerade Souveränität aus.“
Was aber bedeutet die Ferrari-Führungsschwäche für seinen Ex-Backgammon-Mitspieler Sebastian Vettel, der ihm wegen seiner Bodenständigkeit immer schon am Herzen lag?
„Ich denke“, sagt Ecclestone, „dass Sebastians Leistungen in der letzten Zeit unter der Ferrari-Konstellation mit dem neuen Teamkollegen Charles Leclerc, der auch noch vom Sohn des FIA-Präsidenten gemanagt wird, gelitten hat. Ich vermute, er sieht in Binotto nicht den Unterstützer, den er in seiner Situation braucht. Sebastian sollte deshalb aufhören oder sich nach Alternativen für 2021 umsehen. McLaren, dann wieder mit Mercedes-Motoren, könnte so eine sein.“
Denn Ecclestone hat eine Vermutung. „Ich habe Mercedes-Chef Ola Källenius kennengelernt, als er noch die F1-Motorenfabrik von Mercedes in Brixworth geleitet hat. Er weiß also, um was es geht. Er hat im Moment aber andere Probleme als sein Formel-1-Projekt. Doch was ich mitbekomme, wie er den Konzern durch den Abgasskandal und die Corona-Krise in die Zukunft führt, beeindruckt mich zutiefst.“
Allein: „Wäre ich er“, versetzt sich Ecclestone in die Lage des Schweden, „ich würde mein Team Ende 2020 verkaufen. Was hat Mercedes noch zu beweisen nach sechs Titeln in Folge? Gar nichts. Jeder Weltmeister danach müsste doch mit dem Manko leben, nur wegen des Fehlens von Mercedes den Titel geschafft zu haben.“
Die Hybridmotoren sollte er aber weiterhin liefern. Ecclestone: „Das ist ihr Marketinginstrument. High-Tech pur, die effizientesten Motoren, die es gibt, die auch noch in der Formel 1 siegen. Ich weiß, wovon ich rede: Schon kurz nach ihrer Einführung 2014 war mir klar, dass wir alle einen Fehler mit der Einführung der Hybridmotoren gemacht haben. Mercedes war zu hoffnungslos überlegen und nicht zu schlagen. Das wird auch so bleiben, solange mit diesen Motoren gefahren wird. Warum also nicht McLaren wie früher zum Werksteam machen und bei allen anderen Kunden den Stern groß auf dem Auto platzieren? Denn eins ist klar: Egal, welches Team mit ihrem Motor gewinnt, immer wird Mercedes hinter dem Erfolg stehen.“
Dazu käme laut dem Briten: „Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat sich meines Wissens doch schon längst entschieden, Mercedes zu verlassen und mit Lawrence Stroll gemeinsame Sache bei dessen Aston-Martin-Aufkauf zu machen. Schon seit zwei Jahren reisen die beiden unzertrennlich wie eineiige Zwillinge durch die Welt. Und über Toto muss man wissen: Er war auch einer der von mir bereits erwähnten Fürsten, die nur in eigener Sache gedacht haben und nicht an ihre Arbeitgeber. Sicher, er war erfolgreich, aber wäre er das auch ohne die Hybridmotoren gewesen?“
Bei einem ist sich Ecclestone aber ganz sicher: „Die Formel 1 wird überleben, in welcher Form auch immer. Trotz der schwierigen Zeiten, dem grünen Zeitgeist, nicht nur wegen Corona.“
Ecclestone: „Weil sie größer ist als einzelne Personen. War die Mondlandung notwendig? Machte sie die Hungernden satt? Nein, aber trotzdem war die Menschheit fasziniert. Die Menschen brauchen Helden. Rennfahrer, speziell Formel-1-Piloten, sind in gewisser Weise Astronauten, zu denen man voller Bewunderung hinaufschaut. Ayrton Senna ist das beste Beispiel. Selbst den Ärmsten in Brasilien brachte er Licht und Lebensmut in ihrem finsteren Tunnel des Daseins. Im Moment bräuchte man ihn hier mehr denn je.“