Kolumne von Formel-1-Reporter Ralf Bach zu Sebastian Vettels Aussagen über die verpasste Vertragsverlängerung
Aus der wilden Romanze wurde jetzt ein Rosenkrieg. Sebastian Vettel (32) hat mit seinen Aussagen vom Donnerstag in Österreich dafür gesorgt, dass die Zeichen bei Ferrari schon vor dem ersten Rennen am Sonntag auf Sturm stehen.
Vettel war es leid, Ferraris PR-Schauspiel weiter mitzutragen. Angefangen beim Motor, bei dem die FIA in den letzten zwei Jahren Unregelmäßigkeiten festgestellt und die Scuderia gezwungen hat, den Antrieb für 2019 zurückzurüsten.
Vettel schwieg. Aus Solidarität zu seinem Team. Gefallen hat ihm das nicht, weil er auf diese Weise nicht gewinnen wollte. Musste er auch gar nicht – fast schon zum Glück. Denn trotz der unerlaubten Leistungssteigerung war Ferrari seit Vettels Debütsaison 2015 nie in der Lage, dem vierfachen Weltmeister ein Auto zu bauen, mit dem er seinen fünften Titel hätte einfahren können.
In keiner Saison hatte der Deutsche die Waffen, um über eine ganze Saison hinaus mit dem überlegenen Duo Mercedes und Lewis Hamilton auf Augenhöhe in die Schlacht zu ziehen. Trotzdem verteidigte er Ferrari, lobte sie, versuchte immer wieder zu motivieren.
Vettel schluckte es auch noch runter, als er 2019 vom neuen Teamkollegen Charles Leclerc hintergangen wurde. Selbst auf dem Höhepunkt der Feindschaft, als der Monegasse ihm trotz vorheriger Absprache den wichtigen Windschatten in Monza verweigerte, sah er in der Öffentlichkeit nicht rot. Nur im vertrauten privaten Kreis machte er allzu deutlich, was er von den Machenschaften Leclercs und der Teamführung hielt.
Wie schwer muss es ihn danach getroffen haben, dass Leclerc einen „Rentenvertrag“ mit Ferrari bekam. Ein klares Zeichen, auf wen man in Zukunft setzt und auf welche Weise man Erfolg haben will.
Anfangs schwieg der Deutsche auch noch, als Teamchef Mattia Binotto seine Sichtweise der Dinge zur verpassten Vertragsverlängerung zum Besten gab. Binotto salbte sich in der Öffentlichkeit. Sagte noch beim Test in Barcelona frech in die Kamera lächelnd, das Duo Vettel-Leclerc sei die beste Paarung der Formel 1 und Vettel die erste Option, wenn es um das Cockpit neben Leclerc geht. Die Trennung zum Ende dieses Jahres, so wurde später vermittelt, sei nach langen Gesprächen in beidseitigem Einverständnis erfolgt.
Das war die eine verbale Übertreibung zu viel. In Österreich hielt Vettel dagegen und verriet: Er habe im Mai einen Anruf von Binotto gekommen, bei dem er vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Vettels Klartext: „In der ganzen Zeit vorher wurde mir immer wieder signalisiert, dass man gerne mit mir weitermachen würde. Es gab trotzdem nie Vertragsgespräche. Dazu ist es gar nicht erst gekommen. Deshalb hat mich der Anruf auch extrem überrascht.“
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Diese Sätze waren mehr als Worte. Sie trafen Ferrari ins Mark. Sie entlarvten Binotto und Co. Und sie sind nicht mehr zurückzunehmen, die Situation ist nicht mehr zu kitten. Ferrari muss jetzt versuchen, dem Chaos Herr zu werden. Dass Vettel einlenkt, ist nicht zu erwarten. Es sind aber noch mindestens acht Rennen zu fahren, eine ganze Saison.
Es ist nur schwer vorstellbar, dass aus dem Rosenkrieg wieder eine Zweckromanze wird. Alain Prost wurde 1991 mitten in der Saison von Ferrari entlassen – wegen dieses Satzes über eine defekte Servolenkung: „Mein Ferrari fuhr sich heute wie LKW.“
Bei Ferrari lebt der Geist des alten Enzo immer noch. Er wird verehrt wie ein Gott, Kritik an Ferrari ist ergo wie Gotteslästerung. Trotzdem entschied sich Sebastian Vettel für die Wahrheit. Dafür gebührt ihm allen Respekt. Was auch immer passiert: Ob er die Saison zu Ende fährt, ob er nächstes Jahr einen Vertrag bekommt oder nicht. Vettel kann in den Spiegel schauen und die Königsklasse erhobenen Hauptes verlassen.