Kurioser Crash in Sao Paulo: Ausgerechnet die Ex-Teamkollegen Esteban Ocon und Fernando Alonso geraten aneinander, die Schuldfrage spaltet Fahrer wie Experten.
Freunde werden diese beiden sicher nicht mehr: Die Abneigung zwischen Esteban Ocon und Fernando Alonso ist im Fahrerlager der Formel 1 hinlänglich bekannt, am Samstag in Sao Paulo wird die vergiftete Beziehung der ehemaligen Teamkollegen allerdings um ein kurioses Kapitel reicher.
Schon im Sprint-Shootout kommt es gegen Ende von SQ1 zu einem verhängnisvollen Kontakt zwischen Alpine-Pilot Ocon und Aston Martins Alonso. Ausgangs des Senna-S will der Franzose auf seiner schnellen Runde innen vorbei am Spanier, dabei verliert Ocon auf dem Kerb jedoch das Auto und es kommt zum Crash: Ocon fliegt in die Reifenstapel, schimpft noch aus dem Cockpit heraus am Funk: „Verdammter Idiot Fernando.“
Die Zeitlupen offenbaren jedoch in erster Linie Ocons Quersteher, der ihn die Kontrolle über sein Auto verlieren lässt. Der Franzose will das so aber nicht auf sich sitzen lassen: „Manche Menschen behaupten, dass ich das Auto verloren habe. Das ist nicht wahr. Viele Fahrer quer durchs Feld hatten dort ähnliche kleine Korrekturen, selbst Lando (Norris; d. Red.) auf seiner Pole-Runde hat an dieser Stelle etwas korrigieren müssen“, verteidigt sich Ocon.
Soll heißen: Der wilde Ritt über die Kerbs gehört zur schnellsten Linienwahl, schon kleine Luftverwirbelungen durch vorherfahrende Autos, wie in diesem Fall durch Alonso, können die Piloten aus dem Konzept und in Schwierigkeiten bringen. Für Ocon ist deshalb klar: „Fernando hat mitten in der Kurve nach links gelenkt und hat mir nicht genügend Platz gelassen. Deshalb sind wir kollidiert.“
Der Spanier kann über diese Sichtweise nur lachen, staunt mit breitem Grinsen über Ocons Ausführungen: „Offensichtlich hat Esteban das Auto verloren und ist mir reingefahren. Ich denke, das konnte jeder sehen – auch, dass er eine ziemlich komische Linie hatte in Kurve drei hinein. Ich war also einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, viel mehr ist dazu von meiner Seite aus nicht zu sagen.“
Allein: Auch bei den Experten im Fahrerlager gehen die Meinungen über den Crash weit auseinander. Ex-Rennfahrer Mathias Lauda schüttelt bei ServusTV nur den Kopf über Ocon: „Fernando hätte vielleicht etwas mehr Platz machen können, aber insgesamt war schon genügend Raum da. Esteban hat Übersteuern bekommen und das Auto verloren, das ist sein eigener Fahrfehler. Danach auch noch Fernando „Idiot“ zu nennen, ist fehl am Platz – zumal er ihm damit auch das Qualifying kaputt gemacht hat“, sagt der Österreicher.
„Ob der Fahrfehler kam, weil er irritiert war, dass Alonso ist, das ist sein Problem. Sowas passiert im Motorsport, dass Autos langsam fahren und nicht auf der Linie sind. Er sollte die Schuld mal lieber bei sich selbst suchen“, so Lauda.
Auch der ehemalige F1-Pilot Christian Klien findet: „Ocon hatte einen Schlenker drin und hat so seine Linie verloren, deshalb dann Alonso abgeräumt. Alonso kann man da keinen Vorwurf machen, selbst wenn Ocon meint, er hat Teilschuld. Das sehe ich überhaupt nicht so und ich weiß auch von einem Fahrersteward, dass die das auch anders sehen und Alonso da alles richtig gemacht hat.“
Dieser Fahrersteward ist aber offenbar nicht Luciano Burti, der eben jene Funktion am Wochenende in Sao Paulo offiziell ausübt: Denn die Rennkommissare sprechen nach einer Untersuchung keine Strafen aus, weil ihrer Meinung nach keiner der beiden Fahrer eine überwiegende Schuld am Unfall trägt.
Zumindest in Teilen widersprechen sie damit Lauda und Klien. Eine konträre Sichtweise hatte zuvor auch schon Sky-Deutschland-Experte Ralf Schumacher geäußert, der Alonso sehr wohl mit in die Pflicht nimmt: „Es gibt ja einige Kollegen, die der Meinung sind, es war Ocons Fehler. Aber ich sehe das ein bisschen anders. Alonso hat da nicht zu sein“, sagt Schumacher und erklärt: „Das ist ja nicht nur Impeding, sondern im Weg stehen. Für Fernando gab es keine Not, nicht einfach weiter rechts zu fahren.“
Schumacher weiter: „Man sieht, er guckt in den Spiegel. Also ich muss sagen: Ja, ungünstiger Zeitpunkt, falscher Ort – aber auch einfach nicht genug Platz gelassen. Und da ist sicherlich auch eine Diskussion nötig, weil es auch nicht ungefährlich war. Alonso ist viel zu weit links, obwohl er so langsam ist und zieht dann auch nochmal weiter nach links. Ich glaube, da kriegt Ocon ein bisschen Panik und verreißt das Auto.“
Was bleibt, ist die Tatsache, dass das Sprint-Shootout für beide Fahrer vorzeitig beendet, und der Schaden an beiden Boliden groß ist: Alpine muss bei Ocon den Frontflügel, die linke Vorderradaufhängung, das Getriebe, Heckflügel, Unterboden und Teile der Verkleidung auf der linken Seite tauschen. Beim Aston Martin von Alonso bedarf es einer neuen linken Vorderradaufhängung, sowie Reparaturen am Unterboden. Teamchef Mike Krack stöhnt: „Der Crash hat uns nicht nur Positionen gekostet, sondern auch ganz schön Dollars.“
Immerhin: Am Start in den Sprint, den die beiden Streithähne von den Rängen 15 und 16 direkt nebeneinander aufnehmen, lassen sich Alonso und Ocon dann leben, beenden das Mini-Rennen über 24 Runden schließlich auf den Positionen elf und 14. – und machen es damit besser als noch vor zwölf Monaten, als sie sich ebenfalls ausgerechnet im Brasilien-Sprint gleich zweimal in die Quere kamen: In Kurve vier drückte Ocon Alonso damals inklusive Kontakt neben die Strecke, dieser revanchierte sich wenig später und fuhr dem Franzosen auf Start-Ziel ins Heck.
Alpine rief seine Piloten, deren Verhältnis sich schon im Laufe der Saison 2022 zusehends verschlechterte, damals zur Räson: Nun sind die Farben aber unterschiedlich und die Fronten damit offensichtlich noch verhärteter. Eine kleine Ewigkeit her scheinen in diesem Licht Bilder, wie sich Ocon und Alonso nach dem Ungarn GP 2021 freudig in den Armen lagen. Zur Erinnerung: Damals hielt Alonso bewusst den durchs Feld stürmenden Lewis Hamilton auf, ebnete damit den Weg zu Ocons erstem und bisher einzigem Grand-Prix-Sieg.
Viel Dankbarkeit dafür scheint mittlerweile nicht mehr übriggeblieben…
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