Red Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Exklusivinterview über den WM-Kampf gegen Mercedes, Max Verstappen, Red Bull als Motorbauer, Sebastian Vettel und Mick Schumacher
Dr. Helmut Marko, Toto Wolff hat Ihnen in Portugal einen neuen Spitznamen verpasst. Sollen auch wir Sie jetzt mit „Mr. Grumpy“ ansprechen?
(schmunzelt) Das geht an mir vorbei. Mercedes und wir sind technisch auf relativ gleichem Niveau. Wenn wir schon ins Psychologische abschwenken, dann würde ich mir auch da etwas mehr Niveau erwarten.
Haben sich die Gemüter bei Red Bull nach Portugal wieder beruhigt? Immerhin haben Sie den Mercedes-Kunden da vorgeworfen, im Qualifying für Mercedes gefahren zu sein …
Das muss man im Zusammenhang sehen. Max ist auf seiner schnellsten Runde. Und wenn dann so ein Funkspruch kommt, dann ist es klar, dass man sich darüber ärgert. Sebastian war in der letzten Kurve entscheidend im Weg, das hat auch nicht geholfen, unsere Position zu verbessern. Und wenn man sich ärgert, muss man das auch sagen dürfen.
Sie glauben also weiter, dass der Funkspruch an Norris anders gewesen wäre, wenn nicht Verstappen, sondern Lewis Hamilton im Rückspiegel aufgetaucht wäre?
Das hätte man gesagt: Tu Hamilton einen Gefallen (bleibt ernst).
Wie lautet denn generell Ihr Fazit nach den ersten drei Rennen?
Wir hatten drei Rennen und haben eines davon gewonnen. Damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Ein Rennen haben wir verloren, weil wir über die Tracklimits gekommen sind. Klar, das ist ein Vergehen. Aber man muss auch mal die Sinnhaftigkeit dieser Regeln hinterfragen. Das sagen ja auch Mercedes-Leute: Wozu zieht man Linien, wenn Platz genug ist?
Was mich am allermeisten stört, ist die mangelnde Konstanz in der Bestrafung. Mal gibt es fünf Sekunden, mal zehn Sekunden, mal eine Durchfahrtsstrafe. Grundsätzlich stellt sich mir die Frage: Ist es notwendig, dass man Tracklimits hat? Nein. Was ich verstehe: Es braucht entsprechend Zeit, um die Rennstrecken zu adaptieren.
Resümee: Wir sind unter Wert geschlagen, haben summa summarum das schnellere Auto. Mercedes hat mit Hamilton einen nicht übermächtigen, aber unglaublich starken Fahrer, der über sich hinaus wachsen kann. Wenn er eine Chance sieht, dann nutzt er sie. Wir können gewinnen, wenn alles perfekt läuft, aber das war eben nicht der Fall.
Wie geht Verstappen damit um? Er ist jetzt erstmals in der Situation, dass er eine echte Chance auf den WM-Titel hat, ist aber immer noch blutjung.
Wir feiern in Barcelona sein fünfjähriges Jubiläum bei Red Bull. Er ist zwischenzeitlich als Mensch und als Fahrer so gereift, dass er auch die Stärke und die Nerven hat, einen solchen Titelkampf mitzugestalten und auszufechten. Max ist reif für den Titel.
Trotzdem wurde er zuletzt für seine kleinen Fehler kritisiert.
Hamilton macht auch Fehler, das hat man beim Restart in Portugal gesehen. Die Konsequenzen seiner Fehler sind aber geringer – wie in Imola, das kann man maximal als Glück bezeichnen. Fest steht: Hamilton ist noch abgebrühter. Er kann auf seine Chance warten. Max, das muss man schon sagen, ist vom Charakter her eher temperamentvoll. Oder wenn man es anders ausdrückt: ungeduldiger. Das zeigt sich derzeit etwas zu Gunsten von Hamilton.
Reden Sie darüber mit ihm?
Klar sprechen wir über die Rennen. Direkt danach ist er zu sehr aufgeladen, da ist er noch nicht zugänglich für solche Gespräche. Aber wenn es klar ersichtlich ist, dass man die Sache anders hätte machen können, dann sieht er das durchaus ein. Das wird auch diskutiert, nicht öffentlich und zum richtigen Zeitpunkt.
Aber ist sein Ehrgeiz nicht auch ein gutes Zeichen?
Ja und das ist auch die DNA von Red Bull Racing. Wir sind ein leidenschaftliches Rennteam, in dem der Kampf, die Challenge im Vordergrund steht. Da passt ein Fahrer wie Max Verstappen optimal rein. Aber das muss man trotzdem dahingehend zähmen, dass man auch die WM im Blick hat.
Wo hat Ihr Auto Vorteile gegenüber Mercedes und wie lange machen Sie das Entwicklungsrennen mit, bevor Sie sich auf 2022 konzentrieren?
Wir hatten drei Rennstrecken, die man nicht als charakteristisch hinstellen kann. Bahrain war wegen der Temperatur außergewöhnlich, Imola wegen des Regens und in Portugal wegen des Streckenbelags, der sehr wenig Grip aufbaut. In Barcelona kommen wir erstmals auf eine charakteristisch normale Rennstrecke mit normaler Temperatur. Bis dato unser Vorteil die Qualifyingrunde. Im Rennen hat das Pendel je nach Reifentyp Richtung uns und Richtung Mercedes ausgeschlagen. Wir wollen diese WM gewinnen, ganz klar.
Wir wollen aber auch 2022 wieder ein WM-fähiges Auto haben. Und diesen Spagat müssen wir hinkriegen. Derzeit läuft alles nach Plan, geht die Entwicklung des Autos weiter, geplant ist bis zur Sommerpause. Bis dahin werden wir sehen, wie die Situation aussieht. Schwieriger wird es durch die Budgetgrenze, weil wir durch die Ressourcen beschränkt sind, aber das betrifft ja auch Mercedes. Ich gehe davon aus, dass da die Einstellung genauso ist, weil Lewis seinen achten Titel jagt. Da wird man bei Mercedes auch nicht sagen: Wir stellen die Entwicklung ein und alles geht auf 2022.
Spüren Sie auch eine Verpflichtung dem Sport gegenüber, die Mercedes-Dominanz endlich zu brechen?
Wir haben den Anspruch, mit Max Verstappen Weltmeister zu werden. Aber: Mercedes hat ein unglaublich robustes und starkes Triebwerk gebaut. Das war über lange Zeit der Erfolgsfaktor. Jetzt sind wir mit Honda in etwa auf gleichem Level. Es ist im ganzen Team eine friedliche Aufbruchsstimmung, eine Leidenschaft zu spüren – sogar in den Trainings. Und die Einschaltquoten waren weltweit ja auch sehr, sehr gut.
Wie hilfreich ist Ihre Erfahrung im Titelkampf aus der Zeit mit Sebastian Vettel?
95 Prozent der Leute, die mit Vettel die WM-Titel geholt haben, sind immer noch da. Das heißt, die können mit dem Druck umgehen. Das zeigen auch unsere Boxenstopps. Wenn wir da mal über zwei Sekunden sind, ist es für uns schon langsam.
Sind die Psychospielchen mit Mercedes eher Ansporn oder lenken Sie ab?
Wir verteidigen unsere Positionen und wir tun auch unsere Meinung kund. Manchmal haben wir uns das Gefühl, dass der Toto sich über uns oder überhaupt über die Formel 1 zu viele Sorgen macht. Dass wir natürlich auf unseren Vorteil achten, ist klar. Dass die Wortwahl zwischen zwei Österreichern auch mal etwas brisanter wird, muss man als nationale Angelegenheit sehen (schmunzelt).
Dem Entertainment-Faktor schadet es jedenfalls nicht …
Der ist von uns nicht gewollt. Wir haben als Red Bull Racing auch eine andere DNA als Mercedes. Auf der anderen Seite: Wir haben den jungen Herausforderer, Mercedes den siebenmaligen Champion, das gibt schon mal eine Brisanz, wenn der Kronprinz den alten König stürzen will.
Beide Teams haben mit Sergio Perez und Valtteri Bottas aber auch noch zwei andere Fahrer. Welche Rolle spielen die beiden?
In den letzten drei Rennen hat sich ziemlich klar herauskristallisiert, dass um die WM nur Hamilton und Verstappen kämpfen können. Perez hat immer noch Eingewöhnungsschwierigkeiten, wird aber immer stärker. In der Gesamtheit und in der Konstanz fehlen ihm einfach die letzten zwei Zehntel auf Max. Bottas ist im entscheidenden Moment doch nicht so stark und er hat auch schwächere Tage, wie man in Imola gesehen hat. Und im Renntempo, das hat man auch in Portugal gesehen, hat Hamilton Bottas doch wieder in die Schranken verwiesen. Quintessenz: Es sind nur die Zwei, die für die WM in Frage kommen.
War Ihre Entscheidung für Perez trotzdem richtig?
Ja. Er hat Luft nach oben und er steigert sich auch.
Unter welchen Bedingungen würden Sie eine Stallorder aussprechen?
Momentan ist es noch zu früh für Stallregie. Sollte es soweit kommen, dann wird es unter fairen Regeln passieren.
Anderes Thema: Red Bull wird ab 2022 auch Motorhersteller. Was bedeutet das für Sie
Es ist emotional eine unglaubliche Geschichte. Wir haben vor 15 Jahren das Jaguar-Team übernommen. Ziel war, das eine oder andere Rennen zu gewinnen. Dass wir vier Mal Weltmeister werden, hätten wir uns nicht erträumt. Mit dem Rückzug von Honda stellte sich die Frage: Was machen wir nun? Kundenteam bei Ferrari oder Renault zu werden, klingt nicht so attraktiv und ist es auch nicht.
Du kriegst immer nur zweite Wahl und beim Bau des Chassis bist du angewiesen auf das, was du vom Motorhersteller bekommst. Jetzt haben wir alles in einem Haus, dadurch haben wir eine Situation wie Ferrari, wo auf demselben Gelände Chassis- und Motorentwicklung vereint sind. Es wird ein fast unvorstellbarer Traum Wirklichkeit. Da sind wir unseren Eigentümern auch sehr dankbar, denn das erfordert ja auch finanzielles Engagement.
Aber wir sind voll im Plan. Im ersten Schritt werden wir 2022 bis 2024 die Honda-Motoren bauen und einsetzen. Und wenn 2025 das neue Reglement kommt – wo man sich einig ist, dass die Kosten drastisch runter müssen, womit dann auch viele Einheitsteile verbunden sind – bedeutet das: So ein Triebwerk zu konstruieren sollte auch für einen nicht absoluten Motorspezialisten mit Erfahrung möglich sein.
Wie wird der Motor aussehen?
Die Eckdaten stehen fest: Es wird ist ein V6-Motor mit Turbo, 50 Prozent der Leistung kommt vom Verbrennungsmotor, der Rest vom Elektromotor.
Ihr Lieblings-Konkurrent Toto Wolff brachte ja auch schon eine Marke des Volkwagen-Konzerns mit Ihnen in Verbindung. Was ist da dran?
Er hat eine sehr unfeine Äußerung gemacht, dass wir die Patent-Rechte von Honda bekommen und diese an VW weiterleiten würden. Das ist völliger Unsinn, das wäre unfair und ist auch nicht geplant. Solange das jetzige Reglement gilt, sind wir allein für diesen Motor zuständig. Dass wir aber in Zukunft für Partnerschaften offen sind, sei es für Namensgeber des Antriebs oder mehr; das ist alles möglich und auch erwünscht, damit unsere Kosten sich im Rahmen halten. Ob das aber jetzt der erwähnte Hersteller oder ein anderer sein könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig offen.
Ihr ehemaliger Fahrer Sebastian Vettel fährt im Aston Martin derzeit nur hinterher. Wie bewerten Sie seine Situation?
Ich bin da nur außenstehender Beobachter. Ich kann diesen Aufschrei des Teams gegen diese Regeländerung über Winter (eingeschnittener Unterboden; d. Red.) jedenfalls nicht nachvollziehen. Neun Teams kommen damit zurecht, Mercedes gewinnt mit der geringen Anstellung des Hecks laufend sogar Rennen. Das Prozedere ist regelkonform abgelaufen. Aston Martin sollte sich darauf konzentrieren, das Auto besser zu machen. Aber das ist Aston-Martin-Sache. Vettel hatte zwei schlechte Rennen. In Portugal war das Qualifying besser, aber im Rennen war er wieder chancenlos. Dass es am Auto liegt, sieht man an Stroll.
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Hätte Sebastian die von Ihnen letztes Jahr vorgeschlagene Auszeit nehmen sollen?
Sebastian ist über 30 und eine gestandene Persönlichkeit. Er muss wissen, was er tut. Das war seine Entscheidung. Mal schauen, wie es weitergeht.
Aber da muss Ihnen doch als altem Vettel-Intimus das Herz bluten.
Das blutet schon lange. Eine andere Aussage steht mir ohne Detailwissen nicht zu. Man kann nur hoffen, dass es besser wird.
Sie sind bekannt als Rookie-Scout. Wie schätzen Sie die ersten drei Rennen ihres eigenen Neulings Yuki Tsunoda und von Mick Schumacher ein?
Tsunoda hat einen sehr guten Einstand in Bahrain hingelegt, ist in Imola mit einem völlig unnötigen Crash in Q1 übermütig geworden – mit einem Auto, das locker für Q3 tauglich war. Im Rennen hat er sich gebessert, war aber aus dem Tritt. Sein Speed ist beeindruckend. Auch seine Reife und sein Selbstvertrauen. Generell sind wir sehr mit ihm zufrieden. Schumacher war in der Formel 2 mit Mazepin speedmäßig mehr oder minder gleich auf. Und ich muss sagen: Er hat sich sukzessive gesteigert und Mazepin voll im Griff. Von Rennen zu Rennen wird er konstanter. Ich bin positiv überrascht.
Ein Wort noch zu Tsunoda: Ist übermutig nicht besser als nie das Limit zu suchen?
Ja, wir lieben solche Fahrer, die es krachen lassen. Lieber mal ein Auto weggeschmissen als zehn Rennen, in denen man nicht ans Limit geht.
Interview: Bianca Garloff, Ralf Bach
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