Die Schweizer Rennfahrerin Simona de Silvestro überstand 2011 einen schweren Unfall in Indianapolis. Trotzdem wagt sie dieses Jahr den nächsten Anlauf. Am Sonntag steigen die 500 Meilen von Indianapolis. Ein Gespräch über Frauen im Rennsport, die Gefahr beim Indy500 und Michael Schumacher.
Simona de Silvestro, Sie haben sich als einzige Frau für die legendären 500 Meilen von Indianapolis qualifiziert. Was macht das Rennen so besonders?
Simona de Silvestro: Es ist die Geschichte hinter dem Rennen, die es so speziell macht. Bevor ich das erste Mal hier gefahren bin, war mir schon bewusst, dass es ein großes Rennen ist. Aber als ich dann wirklich gefahren bin, hat man die Historie gespürt. So viele große Rennfahrer und Rennfahrerinnen sind hier gefahren. Die Atmosphäre ist gigantisch. Am Renntag schauen normalerweise 300.000 Fans zu, auch jetzt sind 40 Prozent zugelassen. Das sind immer noch 130.000 Zuschauer. Das ist das schon ziemlich cool. Es ist ein schwieriges Rennen, aber es macht mega Spaß.
Wie fühlt es sich an, mit fast 400 km/h an der Mauer entlang zu rasen?
Physisch ist es okay, aber mental ist es ein wirklich hartes Rennen, weil die Geschwindigkeiten so hoch sind. Es geht fast nur ums Windschattenfahren: Wie positioniert man sich im Verkehr? Woher holt man das Vertrauen, auch hinter anderen Autos voll auf dem Gaspedal zu bleiben? Das Qualifying ist das Schwierigste, was man machen kann.
Man hat nur diesen einen Schuss: Du fährst raus und selbst wenn du Unter- oder Übersteuern hast, musst du Vollgas geben. Diese Hingabe ist wirklich einzigartig in Indy. Will Power hat im Qualifying die Wand berührt und ist trotzdem voll auf dem Pinsel geblieben, weil er wusste: Wenn er vom Gas geht, ist er nicht im Rennen. Du bist permanent voller Adrenalin.
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In Indianapolis muss man außerdem den Wind lesen…
Stimmt: Es ist wie im Kielwasser eines Bootes. Je weiter die Wellen vom Boot entfernt sind, desto turbulenter werden sie. So ist es auch im Rennauto. Der Aeroscreen (das Halo der Indycar-Serie, d. Red.) macht es nicht leichter. Man spürt den Wind jetzt nicht mehr so auf dem Helm. Daran muss ich mich noch gewöhnen.
Die Indy 500 gehören zu den gefährlichsten Rennen der Welt. Auch Sie hatten 2011 dort schon einen Feuerunfall mit Überschlag. Haben Sie gar keine Angst?
Stimmt: Es ist gefährlich. Die Autos sind sicherer geworden, aber wir fahren nun mal mit fast 400 km/h an der Mauer entlang. Da kann immer etwas passieren. Letztlich sind wir Rennfahrer und in unserem Element, wollen das Rennen gewinnen und tun alles dafür. Als ich meinen Unfall hatte, musste ich das schon verarbeiten, weil so etwas in unserem Sport selten geworden ist. Aber hätte ich Angst, würde ich das nicht mehr machen.
Auch damals sind Sie wenige Tage später ins Auto zurückgekehrt.
Ich bin aus dem Auto raus und habe mir gesagt, dass ich nie wieder Rennen fahren werde. Das war schon krass. Einen Tag war ich im Krankenhaus, einen zuhause. Mein Vater war eigentlich immer der, der gepusht hat – und meine Mutter eher die, die ängstlicher war. Sie hat aber gesagt, dass ich es noch mal probieren sollte.
Nach zwei Tagen bin ich wieder ins Auto. Trotzdem hat es Zeit gebraucht. Die Ovale waren in dem Jahr schwierig für mich. Denn der Crash war nicht mein Fehler, sondern es ist etwas an der vorderen Radaufhängung gebrochen. Wenn ich ein Fehler begehe, dann weiß ich: Den sollte ich lieber nicht mehr machen. Aber wenn etwas bricht, ist es schwer, das Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Wie sehr hat der Feuerunfall von Romain Grosjean Sie an Ihren eigenen Crash erinnert?
Sehr. Feuer ist ein Element, das nicht kontrollierbar ist. Bei mir hat es auch ziemlich lange gedauert, bis es aus war. Das war eine Situation, die ich niemandem wünsche.
Sie fahren aktuell bei Beth Paretta in einem Team, das zu zwei Dritteln aus Frauen besteht und Frauen im Motorsport fördern soll. Sie standen in Houston schon auf einem IndyCar-Podium. Sind die USA offener für Mädels im Rennsport?
Ich glaube schon. In den USA und auch in Australien ist die Mentalität einfach anders. Was aber Beth (Paretta; d. Red.) hier aufgebaut hat, ist schon ziemlich speziell. Frauen können hier von den Besten lernen und zeigen, dass sie zum Beispiel auch einen Reifen wechseln können – und das auch noch schnell genug. Das alles würde aber nicht passieren, wenn Roger Penske (Indycar- und Indianapolis Motor Speedway-Eigner und Teamchef; d. Red.) dieses Projekt nicht unterstützen würde.
Warum sind Frauen genauso schnell im Auto wie Männer?
Mein Motto war immer: Ich denke nicht dran, dass ich als Frau im Rennauto sitze. Ich will das Rennen gewinnen. Mir war das schon immer vollkommen wurscht. Jetzt bin ich etwas reifer und verstehe, das ich mit meinem Auftritt etwas verändern kann. So wie Michael Schumacher, der den Rennsport in Deutschland und der Schweiz salonfähig gemacht hat – und auch mich inspiriert hat. Genauso zeige ich jetzt jungen Mädchen: Wenn sie wissen, was sie wollen, können sie das schaffen.
Wie sind Sie zum Motorsport gekommen?
Durch meinen Vater. Er hat eine Autowerkstatt, war Autofan, hat immer Formel 1 geschaut. Ich habe deshalb immer mehr mit Autos gespielt als mit Puppen. Ich habe auch Tennis und Fußball gespielt, aber Racing war immer das, was ich machen wollte. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich mich für die Rennstrecke entschieden.
Mit Michael Schumacher als Vorbild.
Genau. Als ich aufgewachsen bin, hat er alles gewonnen. Dass er sieben Mal Weltmeister wurde, war schon krass. Weil ich italienische Wurzeln habe und er für Ferrari gefahren ist, war diese Kombination meine Leidenschaft.
Trotzdem: Inwiefern hatten Sie es schwerer als die Jungs?
Schwer zu sagen, denn im Rennsport ist es generell schwer, Erfolg zu haben. Es reicht nicht aus, schnell zu sein. Alles muss passen, auch das Budget. Ich werde von allen Fahrer respektiert, musste aber immer erst zeigen, dass ich’s drauf habe. Rückblickend betrachtet war es für mich schon schwieriger, im richtigen Team zu landen. In der IndyCar-Serie habe ich zwischen 2010 bis 2013 bewiesen, dass ich schnell und vorn dabei sein kann.
Trotzdem habe ich keinen Call von einem großen Team bekommen. Erst in den letzten zwei Jahren hatte ich das Glück, dass erst Porsche mich geholt hat (als Formel-E-Entwicklungsfahrerin; d. Red.) und jetzt Beth Paretta und Roger Penske. Wäre das vor zehn Jahren schon passiert, dann hätte ich vielleicht einen Meistertitel und das Indy 500 gewonnen. Aber ich bekam einfach nie die Chance.
Beim Indy 500 fahren Sie an diesem Wochenende gegen Cracks wie Juan Pablo Montoya und Co. Das muss doch trotzdem eine Bestätigung für Sie sein.
Das ist schon cool. Mit Juan bin ich gut befreundet, er ist ganz witzig. Wenn du dir das Feld dieses Jahr beim Indy 500 anschaust, dann ist das so ein toller Mix von etalierten Piloten und schnellen, jungen Fahrern. Juan-Pablo Montoya, Scott Dixon, Tony Kanaan sind dabei – das ist speziell. Und das zeigt auch, wie wichtig das Rennen ist. Immerhin ist auch ein Fernando Alonso hier schon zweimal gefahren. Ich bin wirklich froh, dass ich noch mal die Chance bekommen habe.
Zum Abschluss: Was ist Ihr Ziel?
Ich starte recht weit hinten (Platz 33; d. Red.), aber wir haben ein ganz gutes Rennauto. Von weit hinten muss man zwar etwas kreativer sein, aber Indy sucht sich den Gewinner selbst aus. Wir müssen gute Pitstops hinlegen. Wenn alles läuft, kann ein Top-10-Platz drin sein.
2002-2004: Kartsport
2006: US-amerikanische Formel BMW (P4)
2007-09: Atlantic Championship (P8 in 2008)
2010-2013: Indycar, beste Platzierung Platz 2 in Houston 2013
2014: Formel-1-Testfahrerin bei Sauber
2015: Formel E, Indycar, V8 Supercars
2016: Formel E (P18)
2017-2019: V8 Supercars
2020-2021: Formel-E-Entwicklungsfahrerin Porsche, ADAC GT Masters
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