Das FIA-Statement vom Donnerstag hat nicht viel geändert. Das private Abkommen zwischen dem Dachverband FIA und Ferrari stürzt die Formel 1 gerade in die größte Krise ihrer siebzigjährigen Historie. #Ferrarigate.
Hintergrund: Der Automobilweltverband besteht weiterhin auf sein Recht, ein geheimes Abkommen mit dem italienischen Rennstall machen zu dürfen – und beruft sich dabei auf einen Paragraphen im eigenen Disziplinarsystem, das FIA-Präsident Jean-Todt 2010 selbst initiiert hat. Demnach kann der Kläger – laut FIA-Statuten ist das der Präsident persönlich – eine geheime Vereinbarung mit dem Angeklagten treffen, zum Beispiel um den Sport zu schützen oder aussichtslose Rechtsstreitigkeiten zu verhindern.
Allein: Das lassen die sieben Nicht-Ferrari-Teams, angeführt von Mercedes, nicht gelten. F1-Insider.com erfuhr: Die Teams berufen sich auf das in den Disziplinarrichtlinien der FIA erwähnte Recht dritter Parteien, die dann in den Fall mit einbezogen werden müssen, wenn sie betroffen sind.
Im Klartext heißt das für den Fall #Ferrarigate: Die Konkurrenz muss sehr wohl informiert werden, weil sie bei einer potentiellen Disqualifikation Ferraris in der WM aufrücken würde – und so auch mehr Geld aus dem Formel-1-Topf bekäme. Red Bull beispielsweise, ursprünglich Dritter hinter Ferrari, würde das im Fall der Fälle zusätzlich 24 Millionen Dollar in die Kassen spülen. Deshalb sind die sieben aufständischen Teams sogar bereit, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, um ihr Recht zu bekommen.
Wie ernst die Situation für die FIA und ihren allmächtigen Präsidenten Jean Todt ist, zeigt: Teams, die sich normalerweise noch nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen, verbrüdern sich. Für den Automobilweltverband besonders gefährlich: Rechteinhaber Liberty hat ebenfalls Interesse daran. Aus gutem Grund: Durch den weltweiten Ausbruch des Corona-Virus und angesichts möglicher Absagen von weiteren Rennen befindet sich die Aktie ihres börsennotierten Sports schon jetzt im Freiflug in den Keller.
Fehlende Glaubwürdigkeit durch mögliche Mauscheleien zwischen einem Team und der Dachorganisation ihres milliardenschweren Business können sich die US-Amerikaner nicht mehr leisten.
Um die Tragweite des Skandals zu verstehen, muss man ein Jahr zurückschauen. Ferrari stand schon während der Saison 2019 für den Betrieb des hochkomplizierten Hybridantriebs unter Betrugsverdacht. Besonders Red Bull preschte nach vorne, legte immer wieder den Finger in die Ferrari-Wunde, protestierte aber nicht. Warum, erklärt Red-Bull-Chefberater Helmut Marko: „Wir wussten aufgrund unserer GPS-Daten, dass etwas nicht korrekt ist. Wir hatten aber nicht genug Beweise, deshalb protestierten wir nicht offiziell. Die Beweise hatte meiner Meinung nach aber Mercedes. Die trauten sich aber noch nicht, sondern ließen uns erst mal machen.“
Allein: Die Meldungen und Stories weltweit, die auf die Merkwürdigkeiten des Ferrari-Motors hinwiesen, häuften sich. Deshalb konnte die FIA die Augen nicht ganz verschließen und untersuchte den Fall. Am Ende einigte man sich mit Ferrari. Die Italiener mussten für 2020 einen völlig neuen Motor bauen, die Inhalte des Deals wurde aber geheim gehalten.
Das Zynische daran: Die FIA machte durch ein von Ferrari- und FIA-Anwälten gemeinsam verfasstes Schreiben den Vorgang öffentlich. Das war bizarr und blauäugig zugleich. Denn, so war die geschlossene Meinung der sieben Teams, das Statement des Automobilweltverbands trat die Werte von Fairness und Transparenz im Sport mit Füßen.
Am schlimmsten: Bisher hatte die besondere Beziehung von FIA-Präsident Jean Todt zu Ferrari, der dort in der Vergangenheit als Teamchef mit Michael Schumacher große Erfolge feierte und dessen einziger Sohn Manager von Ferrari-Star Charles Leclerc ist, lediglich für ein Geschmäckle in der Szene gesorgt. Durch den FIA-Alleingang wurde das Geschmäckle aber zum schlechten Geschmack, der den Teams jetzt zu viel wurde.
Marko bringt stellvertretend den Skandal gegenüber F1-Insider.com auf den Punkt: „Die FIA droht einen Sport in Verruf zu bringen, in den wir dreistellige Millionensummen im Jahr investieren. Das kann man sich jetzt nicht mehr bieten lassen.“
Das sieht auch Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone so. Der Brite zu F1-Insider.com: „Die Teams vor Gericht ziehen. Es geht hier um Millionen, die ihnen meiner Meinung nach zustehen. Denn wenn Ferrari sauber und unschuldig wäre, warum haben sie sich dann auf einen Deal mit der FIA überhaupt eingelassen? Das alleine wirkt auf mich wie ein Geständnis.“
Fest steht: Die Königsklasse des Automobilsports macht gerade die größte Krise ihrer Geschichte durch. Auch das sieht Ecclestone so: „Es gab oft Krisenbrände, die ich als Art oberster Feuerwehrmann löschen mussten. Zu meiner Zeit gelang es aber immer wieder, im Sinne des Sports einen gemeinsamen Konsens zwischen den Teams, der FIA und mir zu finden. Dafür ist es jetzt aber zu spät.“