Formel 1: Unfälle


Gabriel Bortoletos schwerer Unfall in Brasilien zeigt, wie brutal die Formel 1 sein kann – aber auch, wie sicher sie geworden ist. Die G-Kräfte sind massiv – auch im historischen Vergleich.
Es ist der heftigste Unfall des bisherigen Jahres: Doch als Gabriel Bortoleto im Sprintrennen vor heimischem Publikum in Brasilien in die Wand kracht, zeigt sich einmal mehr, wie sicher die Formel-1-Flitzer heute sind. 57G wirken beim zweiten Einschlag, nachdem er quer über die Strecke fliegt. Das bedeutet 57-mal die Erdbeschleunigung – oder einfacher gesagt: 57-mal sein Körpergewicht. Bortoleto gibt das mit 71 Kilogramm an. Das macht eine Wucht von 4074 Kilogramm, die auf den Fahrer einwirken – also mehr als vier Tonnen.
Wie sich das anfühlt? „Es ist einfach schrecklich“, bringt es der 21-Jährige auf den Punkt. „Du bist nur noch Passagier, kannst nichts mehr kontrollieren.“ Dass er den Crash überlebt, ist ein technisches und physikalisches Sicherheitswunder. Und dass er wenige Stunden später das Qualifying nur deshalb nicht fährt, weil sein Sauber-Ferrari nicht rechtzeitig aufgebaut werden kann, erst recht. Er selbst ist unversehrt. „Klar spüre ich hier und da ein bisschen Schmerzen, aber es sind normale Schmerzen wie an jedem anderen Wochenende“, sagt er gelassen.

Die G-Kräfte zeichnet die Formel 1 seit 1997 auf – zunächst in einem Unfallschreiber, wie bei einem Flugzeug die Blackbox. Inzwischen haben die Fahrer auch in ihren Ohrenstöpseln Sensoren. Denn Unfälle haben eine unterschiedliche Wirkung auf das Auto einerseits und den Kopf des Fahrers andererseits. Und: Es muss zwischen Spitzenwerten und der mittleren Verzögerung unterschieden werden. Daher sind für denselben Unfall oft unterschiedliche Werte im Umlauf.
Nehmen wir Rekordweltmeister Michael Schumacher. Als er sich in Silverstone 1999 einen Beinbruch zuzog, weil er mit seinem Ferrari frontal in die Reifenstapel krachte, wirkte in der Spitze eine Verzögerung von 122G auf seinen Kopf. Entscheidend war jedoch die mittlere Verzögerung von 49G.
Noch mehr G-Kräfte wirkten auf seinen Bruder Ralf Schumacher, als er 2004 beim USA-GP in Indianapolis rückwärts in die Mauer einschlug. 78G waren es. Bilanz des Einschlags: Schmerzen, verletzte Wirbelsäule, sechs Rennen Pause. Nur weil die Chassis inzwischen so gebaut sind, dass sie möglichst energieabsorbierend zerbrechen, Barrieren wie TecPro oder SAFER Barriers verformbar sind und damit die Aufprallzeit strecken sowie Kopf und Nacken der Fahrer durch Kopfstützen und HANS-System besser geschützt sind, sind solche Unfälle heute nicht nur überlebbar, sondern meist auch ohne größere Blessuren überstehbar. Es ist ein permanentes Rennen der Sicherheit gegen die Physik – und die Biologie des menschlichen Körpers.
Doch die Physik hat Grenzen. Als Jules Bianchi beim Japan-GP 2014 mit seinem Marussia in einen Bergungskran raste, wirkten auf das Auto 92G, auf seinen Kopf laut Sensoren aber 254G. Ein Jahr später erlag er seinen schweren Kopfverletzungen.
An der Schwelle zum Tod, so steht es in einer Unfallauswertung der FIA, stand auch Luciano Burti. Der Brasilianer schlitterte 2001 beim Belgien-GP mit seinem Prost-Ferrari nach einer Kollision mit Eddie Irvine in die Reifenstapel. 243G in der Spitze, 86G als relevante Größe. Eine schwere Gehirnerschütterung samt Gehirnblutungen waren die Folge. Auch wenn er danach Testfahrer bei Ferrari wurde, hatte er noch Jahre mit den Folgen zu kämpfen. Burti erinnert sich: „Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, habe teilweise mein Kurzzeitgedächtnis verloren. Es kam vor, dass ich am Morgen jemanden gegrüßt habe und am Abend sagte: ‘Schon lange nicht mehr gesehen.’“
Auch frühere Formel-1-Unfälle sind inzwischen gut rekonstruiert – mittels Geschwindigkeit, Crashzeit und Aufprallwinkel. David Purley crashte mit seinem selbst aufgebauten LEC-Ford-Cosworth beim Großbritannien-GP 1977. In nur 0,66 Metern wurde sein Auto von 173 auf 0 km/h verzögert – das entspricht 179,8G. Wie durch ein Wunder überlebte er – aber mit gebrochenen Rippen, Beinen, Becken, Händen und Nase. In der WM fuhr er nie wieder.
Generell gilt: Frontalaufprälle erzeugen die stärksten G-Kräfte. Als Mika Häkkinen 1995 in Australien in die Reifenstapel krachte, verschluckte er seine Zunge – ein Luftröhrenschnitt direkt an der Strecke rettete ihm das Leben. Weniger Glück hatte Karl Wendlinger in Monaco 1994: Ausgangs des Tunnels krachte er in die Wand – mit geschätzt über 50G mittlerer Verzögerung und 360G in der Spitze. Der Österreicher lag mehrere Tage im Koma.
Überschläge sehen oft spektakulär aus, strecken aber die Unfallzeit und bauen damit mehr Energie ab – sie sind also häufig mit weniger G-Kräften verbunden. Es gibt jedoch Ausnahmen. Robert Kubica beim Kanada-GP 2007 zum Beispiel. Sein BMW Sauber überschlug sich erst nach dem Einschlag, bei dem 75G auf den Polen wirkten. Er blieb unversehrt, war durch diese Wucht aber kurzzeitig bewusstlos.
Doppeltes Glück hatte Gerhard Berger in Imola 1989. Nicht nur, dass er einen Einschlag mit einer Wucht von rund 100G überstand. Weil sich das Benzin in seinem Ferrari entzündete, saß er zudem 27 Sekunden in einem Flammenmeer, ehe er gerettet wurde.
Die höchsten errechneten (nicht gemessenen) G-Kräfte in der Formel 1 wirkten auf Roland Ratzenberger. Der Österreicher verunglückte im Qualifying zum Imola-GP 1994 tödlich, als ein Flügel seines Simtek-Ford brach und das Auto unkontrolliert in die Mauer raste. Fast 500G sollen auf ihn gewirkt haben. Eine Überlebenschance gab es nicht.
Die Formel 1 hat inzwischen 2882 Unfälle, die allein in den 1146 WM-Rennen zum Ausfall führten. Test-, Trainings-, Qualifying- oder Sprintunfälle wie der von Bortoleto in Interlagos sind dabei noch nicht einmal eingerechnet. Die meisten enden heute glimpflich – obwohl massive Kräfte auf die Fahrer wirken. Doch die FIA wird nicht aufhören, jeden schweren Crash genau zu untersuchen und an der Sicherheit weiterzuarbeiten. Denn auch der menschliche Körper hat physikalische Grenzen.
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