Mit Michael Schumacher hat er bei Ferrari fünf WM-Titel gewonnen, jetzt ist er nach Stationen bei Audi und Lamborghini neuer Formel-1-Chef: Stefano Domenicali im Exklusivinterview.
Stefano Domenicali, Sie stammen aus Imola, waren Ferrari-Teamchef. Jetzt sind Sie Formel-1-Boss. Hätten Sie je gedacht, der neue Bernie Ecclestone zu werden?
Stefano Domenicali (55): Absolut nicht. Ich erinnere mich noch, wie ich in Imola als Abiturient die Trucks im Fahrerlager geparkt habe. Ich war ein leidenschaftlicher Formel-1-Fan und als solcher waren die Stars und vor allem Bernie Ecclestone unerreichbar für mich. Im Laufe der Jahre wurde ich dann bei Ferrari ein Teil dieser Welt, jetzt bin ich CEO. Das empfinde ich als großes Privileg. Aber ich möchte mich gar nicht mit Bernie auf eine Stufe stellen. Er hat aus der Formel 1 ein weltweites Sportereignis gemacht. Es war sein Baby, das er groß gemacht hat. Ich übernehme jetzt von Chase Carey, der die Zukunft eingeleitet hat. Wir haben einen Grundlagenvertrag mit den Teams (bis 2025; d. Red.). Wir haben eine Budgetobergrenze. Diese beiden Elemente geben uns Stabilität für die Zukunft. Und was man nicht vergessen darf: Es gibt ein großes Interesse aus dem Finanzmarkt an der Formel 1. Viele Investoren klopfen an unsere Tür. Das ist ein gutes Zeichen.
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In Zeiten der Pandemie und des medialen Wandels ist Ihr neuer Posten aber auch eine Herausforderung.
Das stimmt. Auf diesen Zug nicht aufzuspringen, war für mich aber keine Option. Obwohl ich als Lamborghini-Präsident einen tollen Job hatte. Aber ich liebe diesen Sport und werde alles geben, ihn fit für die Zukunft zu machen. Die Pandemie, das stimmt, ist eine Herausforderung für jeden und wir müssen flexibel bleiben. Aber die Formel 1 hat es letztes Jahr gemeinsam mit der FIA geschafft, unter eigentlich unmöglichen Bedingungen eine WM auszutragen. Damit haben wir die Grundlage für dieses Jahr gelegt, das mit 23 Rennen die längste Saison aller Zeiten wird. Es wird nicht leicht, aber alle Veranstalter haben uns signalisiert, dass sie die Grand Prixs austragen wollen. Auch und vor allem in Krisen sehnen sich die Menschen doch nach Ablenkung durch Sport.
Wie können Ihre früheren Aufgaben bei Ferrari, Audi und Lamborghini Ihnen heute helfen?
Ich weiß, wie ein Team, ein Hersteller und sogar eine Rennstrecke funktioniert – denn ich war ja mal Streckenchef in Mugello. Meine Vision für die Formel 1: An erster Stelle ist es ein Sport, der die Fans unterhalten, den Teams eine nachhaltige Plattform und den Fahrern die Möglichkeit bieten soll, ihre heldenhaften Fähigkeiten zu zeigen. Gleichzeitig wollen wir auch Herstellern die Möglichkeit bieten, ihre Technik für die Straße wie in einem Labor weiterzuentwickeln und der Welt zu präsentierten. Wir dürfen ja nicht vergessen: Unsere Hybridmotoren sind die effizientesten der Welt. Mit nur 100 Kilo Benzin absolvieren wir 305 Kilometer in kürzester Zeit. Das ist einzigartig und in Zukunft wollen wir diese Technik auch mit nachhaltigem Kraftstoff auf das nächste Level heben – um die anwesenden Hersteller zu halten und neue anzuziehen. Genauso gilt es, die Sprache der jungen Generation von Fans zu sprechen und sie von der Formel 1 zu überzeugen.
Formel-E-Boss Alejandro Agag ist der Meinung, die Formel 1 müsste in Zukunft elektrisch werden.
Alejandro und ich sind Freunde. Ich sehe das so: Formel 1 und Formel E sind auf zwei unterschiedlichen Reisen. Was wir tun, ist nachhaltig und glaubwürdig. Die Zuschauerzahlen sprechen für sich.
Bernie Ecclestone hat mal behauptet: Die Formel 1 braucht einen schnellen Deutschen, einen Schwarzen und eine Frau. Wie wichtig ist Ihnen Vielfalt?
Vielfalt ist ein wichtiger Teil unseres We-race-as-one-Programms. Als weltweite Plattform haben wir die Verpflichtung, die Idee von Vielfalt und Inklusion zu verbreiten und gegen Rassismus zu kämpfen. Ich hoffe sehr, dass wir bald eine Frau in der Formel 1 haben und werde sicherstellen, dass es keine Barrieren gibt. Am Ende geht es dann darum, wer der oder die Schnellste ist. Und: Wir brauchen nicht nur Fahrer und Fahrerinnen, sondern auch Ingenieurinnen oder Mechanikerinnen. Wir wollen und müssen uns weiter öffnen.
Lewis Hamilton hat mit seiner Initiative für „Black lives matter“ bereits viel für die Formel 1 getan. Inwiefern haben Sie Angst, ihn nach diesem Jahr als fahrenden Botschafter zu verlieren?
Lewis ist wichtig. Zunächst einmal hat er eine unglaubliche Herausforderung vor sich: nämlich der erste und einzige Fahrer mit acht WM-Titeln zu werden. Sein Fokus wird also darauf liegen. Natürlich setzt er sich auch aktiv gegen Rassismus und für Vielfalt ein. Es ist entscheidend, dass er sich in der Formel 1 wohlfühlt, denn da gehört er hin und da wollen wir und die Fans ihn sehen.
Sie haben den siebten Titel mit Michael Schumacher selbst erlebt. Kann Lewis den achten Titel schaffen?
Ich bin sicher, er kann den achten Titel holen. Auch wenn es nicht leicht wird, denn am Gipfel wird die Luft immer dünner. Er muss voll konzentriert sein und perfekt fahren. Die Konkurrenz wird ihm das Leben nicht leicht machen. Max Verstappen will sicher auch endlich seinen ersten WM-Titel. Die Zutaten für eine spannende Saison sind vorhanden.
Ihre Ferrari-Karriere hat mit der Ankunft von Michael Schumacher 1996 richtig Fahrt aufgenommen. Jetzt kommt sein Sohn in die Formel 1 und Sie sind der Boss. Wie emotional ist das für Sie?
Micks Aufstieg in die Formel 1 ist sehr emotional für mich. Ich habe ihn beim Bahrain-Test getroffen und stand vor dem Problem, dass ich ihn gern umarmen wollte, das Covid-Protokoll es aber nicht zuließ. Also haben wir entschieden, uns mental zu umarmen (lacht). Ich kenne Mick, seit er geboren wurde. Er hat den Aufstieg in die Formel 1 verdient und er wird die Aufgabe auch richtig angehen. So wie bisher. Er hat in seiner Karriere immer einen Schritt nach dem anderen gemacht, ist in jeder Serie gewachsen und dank seiner Erfolge in der Formel 1 gelandet – nicht weil sein Name Schumacher ist. Er ist jetzt schon eine Bereicherung für die Formel 1.
Welche Erinnerungen haben Sie an ihn, als er noch ein kleiner Junge war?
Michael hat sein Privatleben ja immer sehr geschützt, deswegen war Mick nur selten an der Rennstrecke. Aber wenn wir in Kerpen Kart gefahren sind, war er immer dabei. Die Schumachers sind eine unglaublich tolle Familie.
Wie sehr erinnert Mick Schumacher Sie an Michael?
Naja, man sieht und hört schon, dass er sein Sohn ist! Ich finde das großartig. Eine Sache, die mir auffiel: Als Michael 1995 zu seinem ersten Ferrari-Test in Fiorano noch im weißen Overall kam, brachte er ein Notizbuch mit, in dem er alles aufschrieb. Als ich Mick mal in der Formel 3 traf, hatte er ein ähnliches Notizbuch mit einem Stift dabei. Da war mir alles klar (lacht).
Mick Schumacher: Onkel Ralf glaubt, dass er 2021 hinterherfährt
Mick fährt 2021 im Haas, einem der schlechteren Autos. Was sollten die Fans von ihm erwarten?
Mick sollte sich darauf konzentrieren, das maximal Mögliche zu erreichen. Dabei ist der Teamkollege die erste Messlatte. Und er sollte jede Situation nutzen, die sich ihm bietet, um zu glänzen.
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Was war an Michael Schumacher aus Ihrer Sicht so besonders?
Michael war ein ganz spezieller Fahrer, aber auch einer, der sich immer vor das Team gestellt hat. Er hat sich 1999 in Silverstone das Bein aufgrund eines Fehlers des Teams gebrochen. Er hat das aber nie in der Öffentlichkeit gesagt. Dieser Teamgeist hat ihn und uns so stark gemacht. Denn wir haben den Teamgedanken gelebt: zusammen Fußball gespielt, gemeinsam zu Abend gegessen. Es war wie ein privates Team-Leben. So sind wir gemeinsam und jeder in seiner Rolle gewachsen.
In Deutschland hat man Sie das erste Mal gesehen, als Sie Schumacher in Spa 1998 nach dem Auffahrunfall mit David Coulthard daran hindern wollten, dass er Coulthard an den Kragen geht.
Ja. Ich erinnere mich sehr gut. Damals konnte ich noch ohne Brille sehen, dass ich ihn jetzt besser vor sich selbst beschützen sollte. Er war da ein wenig italienisch-emotional und ich versuchte ihn zu überzeugen, keine Dummheiten zu machen. Ganz ist mir das nicht gelungen (lacht).
Schumacher hat später Sebastian Vettel gefördert – den auch Sie für Ferrari im Visier hatten. Was lief am Ende schief mit Sebastian in Rot?
Von außen schwer zu beurteilen. Was wir nicht vergessen sollten: 2018 war er dem Titel mit Ferrari sehr nah. Dann kam eine Situation, die das Team destabilisierte (der Tod von FIAT-Boss Sergio Marchionne; d. Red.). Es war eine verpasste Chance, für die Sebastian nichts konnte.
Jetzt ist er der James Bond der Formel 1…
Genau! Für die Formel 1 ist es super, dass Aston Martin zurück ist. Dabei können sie auch von unserer starken Plattform profitieren. Sebastian wird die Gelegenheit sicher nutzen, um zu zeigen, warum er viermaliger Weltmeister ist. Denn, das vergessen wir alle manchmal: Davon gibt es nicht so viele… Und wir dürfen auch seinen Teamkollegen Lance Stroll nicht unterschätzen, der ebenfalls sehr schnell ist.
Als Sie die Formel 1 2014 verlassen haben, begann die Mercedes-Dominanz, die bis heute anhält. Wie sehr hoffen Sie, dass die Überlegenheit bald vorbei ist?
Die Formel 1 war immer ein Sport der Zyklen: Es gab die Williams-Überlegenheit, die Ferrari-Ära, die McLaren-Zeit, die von Red Bull. Mercedes‘ Leistung ist natürlich beeindruckend. Hut ab vor dem gesamten Team. Aber seit dieser Saison haben wir eine Budgetgrenze, ab nächster Saison komplett neue Technik-Regeln. Es wird spannend sein zu sehen, wie und ob das Feld dadurch enger zusammenrückt oder sogar durcheinandergewürfelt wird. Die Zukunft der Formel 1 wird spannend. Liebe Leser, Sie sollten also dranbleiben!
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Wie wichtig sind Ihnen weitere deutsche Hersteller wie Porsche, Audi oder BMW?
Einerseits gilt es, die derzeit aktiven Hersteller glücklich zu machen, aber natürlich ist es ebenso wichtig, neue zu gewinnen. Im Hintergrund finden viele Gespräche statt. Wenn wir das richtige Paket bieten können, bin ich sicher, dass weitere Hersteller, nicht nur Deutsche, Interesse zeigen.
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