Monisha Kaltenborn war von 2012 bis 2017 Teamchefin bei Sauber in der Formel 1. Jetzt ist sie CEO des Simracing-Unternehmens Racing Unleashed, das an diesem Wochenende mit einer eigenen Rennserie in die Saison startet. F1-Insider.com überträgt die Rennen live. Ein Gespräch über die Zukunft des Motorsports, die Formel 1, Sebastian Vettel, Mick Schumacher, Max Verstappen und Co.
Frau Kaltenborn, sie sind bekannt als Teamchefin aus der Formel 1, haben in der Simracing-Welt jetzt aber sogar Ihre eigene Rennserie, die am Wochenende startet. Worum genau geht es bei Racing Unleashed?
Monisha Kaltenborn (50): Ähnlich wie in der Formel 1 veranstalten wir Rennen auf unseren Simulatoren, gefahren werden dabei Formel-1-Autos aus 2020. Wir gehen dabei genau in die Nische zwischen dem realen Sport und Simracing. Unsere Rennen kann man nicht zu Hause auf der Konsole fahren, sondern in unseren Racing Lounges im High-Tech-Simulator. Den haben wir selbst entwickelt, mit vielen Details aus der Formel 1 wie Pedalerie, Lenkrad oder Sitz. Was unsere Simulatoren von den meisten anderen unterscheidet: Wir haben ein sehr präzises Bewegungssystem, das es uns erlaubt, das Fahrgefühl mit Curbs und Bodenwellen realistisch wiederzugeben. Gurte simulieren sogar die G-Kräfte. Das führt dazu, dass es darin richtig rumpelt und man ziemlich ins Schwitzen kommt. Und es ist auch ein sehr gutes Hilfsmittel für junge Fahrer, die die Strecken kennenlernen wollen. Früher ging es quasi auf die Kartbahn, heute in die Racing-Lounge (lacht).
Ihr Firmensitz befindet sich in der Schweiz, haben Sie trotzdem auch Racing Lounges in Deutschland?
Wir haben eine Lounge in der Motorworld München, die mit Aufhebung der Corona-Restriktionen öffnen sollte. Und wir sprechen auch mit anderen Partnern in Deutschland, so dass wir weitere Standorte in einem Franchise-System aufmachen.
Wie wichtig ist Simracing heutzutage?
Grundsätzlich sind beide Sportarten – und ich bezeichne eSports bewusst auch als Sportart – komplementär. Das eine schließt das andere nicht aus und beide ergänzen sich. Auch über die Begrifflichkeit des „realen“ Sports würde ich diskutieren, denn eine Fahrt in unserem Simulator ist durchaus anstrengend. Und das Ziel des eSports ist ja, der Realität im Cockpit so nahe wie möglich zu kommen. Simracing ist außerdem sehr viel günstiger ist als echtes Racing. Das Rennfahren realitätsnah zu erleben, hat also eine sehr große Zukunft. Das liegt auch daran, dass sich der typische Fan sehr verändert hat. Wir kennen noch eine Zeit, in der der Fan glücklich war, wenn sein Idol ihm eine Autogrammkarte geschickt hat. Heute will der junge Fan die Dinge selbst erleben. Er will wissen, wie es ist, mit Tempo 300 über die Gerade von Monza zu glühen. Und wir stellen auch fest, dass man heute keine unnötigen Risiken mehr eingehen möchte. Der Fan will also das Erlebnis – aber mit einem steuerbaren Risiko. Und er will Content generieren, Dinge selber schaffen.
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Wie gut wäre ein Simulatorfahrer ausgebildet für das reale Rennauto?
Hinsichtlich des Prozederes, zum Beispiel mit dem Lenkrad oder dem Stress im dichten Verkehr wäre man schon sehr gut vorbereitet. Der Sprung von der virtuellen Welt in die reale ist kein einfacher, aber mittlerweile komme ich zum Schluss: Wer Talent hat, kann diesen Sprung schaffen. Und die Chancen werden immer größer, weil die Instrumente immer präziser werden. Fest steht: Wir wollen den Motorsport so der Allgemeinheit zugänglich machen und Talente entdecken.
Sie waren jahrelang an der echten Rennstrecke. Wie sehr verfolgen Sie die Formel 1 immer noch?
Ich verfolge die Formel 1 sehr wohl, denn beruflich habe ich ja fast nichts anderes gemacht (lacht). Und ich bin dem Sport immer noch verbunden.
Sie führten eines der kleineren Teams; hätten Sie sich damals auch eine Budgetobergrenze gewünscht, die es jetzt ja gibt. Hätten Sie die damals auch gebraucht?
Natürlich! Damit haben Force India und mein Team die anderen doch immer genervt. Wir waren da wohl unserer Zeit voraus. Eigentlich waren fast alle Hersteller damals sogar für ein Budget Cap, allerdings sind sie dann ja reihenweise ausgestiegen (BMW, Toyota, Honda in 2009; d. Red.) und wir haben die Unterstützung verloren. Aber denen war damals schon klar, dass sie nicht auf ewig so viel Geld ausgeben können. Leider kam danach wieder eine Zeit, in der die Kosten extrem hochgegangen sind.
Ist das aktuelle Budgetcap so gut, dass die Formel 1 nachhaltiger und attraktiver für Hersteller UND kleinere Teams wird?
Ich finde es in jedem Fall gut, dass man diesen Weg geht. Aber man sollte nicht den Fehler machen, dass man die Finanzen zu sehr in den Vordergrund rückt. Die Budgetgrenze ist EIN Aspekt des Ganzen, um die Show besser zu machen. Man muss aber fast immer bei den Regeln und der Technik ansetzen, denn die sind der Treiber für die Kosten. Das Regelwerk muss so gestaltet sein, dass du weniger Möglichkeiten hast, mehr Geld auszugeben – und davon auch weniger profitierst. Das führt dann auch dazu, dass die Show besser wird, weil die Teams näher beieinander sind. Die Formel 1 ändert für nächstes Jahr entsprechend auch die Regeln. Ob und wie das wirkt, muss man sehen. Gut ist, dass hier Schritt für Schritt vorgegangen wird.
Was ist noch wichtig?
Entscheidend wird auch sein, wie man die Änderungen kommuniziert. Ich denke da nur an den aktuellen Hybridmotor. Technisch gesehen war und ist der eine fantastische Errungenschaft, die aber schon im Vorfeld niedergeredet wurde. Man hat sich selber damit quasi abgeschafft. Das darf nicht wieder passieren, dass einzelne Teams die neuen Regeln schon wieder vorher diskreditieren.
Sie haben den Motor angesprochen: Wie wichtig wird es, dass der in Zukunft nachhaltig und mit Biosprit befeuert wird?
Ich glaube, dass Nachhaltigkeit heute in jedem Bereich wichtig ist. Aber die Formel 1 steht auch mit dem aktuellen Motor besser da, als man denkt. Die Ökobilanz der Rennen inklusive der Zuschauer ist gar nicht schlechter als die eines Fußball-Wochenendes. Das ist nur die Wahrnehmung, weil es MOTOR-Sport ist. Man sollte sich meiner Meinung nach aber fragen: Muss man die Motorhomes etc um die Welt fliegen und schiffen, oder geht das auch kleiner und lokaler?
Aber droht bei zu viel Innovation nicht auch die Gefahr, die Petrolheads zu verlieren?
Man kann es nicht allen recht machen. Und wenn man seinen Fokus auf Gewinnmaximierung legt, was völlig legitim ist, muss man sich gut überlegen, in welche Richtung man geht. Wenn man in der Formel 1 auf jüngere Fans setzt, die auch wichtig für viele Sponsoren sind, dann muss man den Weg gehen, der im Zeitalter der Digitalisierung und Nachhaltigkeit zeitgemäß ist.
Passt das dann auch zu den Interessen der Hersteller?
Ja, für Autobauer sind eigentlich genau die gleichen Überlegungen wichtig wie für die Formel 1. Natürlich haben auch die ihre Klassik-Abteilungen oder Hypercars, aber die Masse kauft zeitgemäße Autos.
Nach dem Ausstieg von BMW Ende 2009 war Sauber wieder ein Privatteam. Wie schwer war es für Sie, die Mannschaft in stürmischer See vor der Pleite zu bewahren?
Das war sehr schwer. Denn wir waren ja zunächst nur Verkaufsgegenstand, erst später kamen wir als Käufer in Betracht, weil sich die anderen Möglichkeiten als nicht realistisch erwiesen haben. Wir hatten danach zwar die Leute, aber kein Geld und nur einen Monat, um beim Test anzutreten. Ich glaube, da hätte es kaum jemanden wie Peter Sauber gegeben, der sagt: Ich kaufe das Team. Oder mich, die sagt: Ich leite das Team. Wir haben uns dann performance-mäßig gut erholt, aber es war ein ständiger Kampf. Es war die Ära ohne Budget-Cap – und da ist es sehr, sehr schwer ohne Geld mitzuhalten. Der Sponsorenmarkt war sehr schwierig, die Ausgaben sehr hoch. Und wenn dann gewisse Zusagen nicht eingehalten werden, macht es das nicht besser. Das Wichtigste für mich war in der Zeit, dass das Team überlebt. Sauber war ja vor der BMW-Zeit ein effizientes Team, auf diese Stärken mussten wir uns wieder besinnen. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass Sauber ohne BMW den Sprung zu den modernen Formel-1-Teams nicht geschafft hätte.
Heute sprechen wir ganz selbstverständlich von Vielfalt, Gleichberechtigung und Diversität. Wie haben Sie es erlebt, die erste TeamchefIn in der Formel 1 zu sein?
Für mich war das gar kein großes Thema. Was auch daran lag, dass Peter Sauber und auch Mario Theissen mich immer schon mit in die Teamchef-Sitzungen genommen haben. Trotzdem glaube ich, dass einige Diskussionen in der Runde mit ein paar mehr Frauen anders verlaufen wären. Vielfalt ist von Haus aus gut, weil andere Standpunkte oder Schwerpunkte zur Sprache kommen. Mehr Frauen würden der Formel 1 schon gut tun. Auch anderen Sektoren. Schauen Sie sich den Finanz-Sektor an. Wie viele Banken haben eine Frau an der Spitze? Dabei wäre es höchste Zeit! Genau wie für Frauen in Cockpits. Da sehe ich bis heute keinen Grund, warum eine Frau das nicht können sollte. Im Gegenteil: Motorsport ist eine der Sportarten, wo Frauen keinen Nachteil haben.
Sie haben Simona de Silvestro und Tatiana Calderon als Testfahrerinnen zu Sauber geholt. Konnten Sie da sehen, dass beide theoretisch in der Lage gewesen, ein Formel-1-Auto am Limit zu bewegen?
Nicht nur theoretisch. Simona de Silvestro hatte sogar alle Voraussetzungen für die Superlizenz erfüllt. Bei Tatiana Calderon sehen wir jetzt in der WEC, wie sie durchaus ordentlich mitfährt. Das Problem ist: Die Gruppe an Mädchen, die es im Motorsport versuchen, ist noch zu klein. Außerdem brauchen die Mädchen die gleiche Unterstützung, die ein junger, talentierter Bursche bekäme.
Und wie ist das im Simracing-Bereich?
Noch ist es eine Männer-Domäne, aber es geht schneller dort mit den Frauen. Die Mädchen trauen sich bei uns mehr, es gibt außerdem weniger Berührungsängste und die Community ist offener. Der Trend ist klar: Es kommen immer mehr Mädchen.
Trotzdem: Würden mehr Frauen nicht auch dem dem Motorsport gut tun?
Durchaus. Aber in jeder Männerdomäne haben es Frauen noch schwerer. Das gilt nicht nur für den Motorsport. Als Frau reicht es nicht, eine gleiche Qualifikation zu haben; du musst in vielen Dingen besser sein. Du musst auch bereit sein mehr zu geben, um annähernd die gleiche Anerkennung zu bekommen. Und wenn du einen Fehler machst, wirst du viel härtet angegangen als ein Mann in derselben Situation. Aber vielleicht fehlt bei den Männern auch der Mut zu dem Schritt, eine Frau in eine verantwortungsvolle Position zu bringen. Weil auch der Mann dann mehr kritisiert wird, wenn es nicht funktioniert hat. Die Chancen müssen geschaffen werden, dann wird sich das mit der Zeit alles relativieren.
Genauso könnten Frauen im Cockpit den Motorsport doch auch für weibliche Zuschauer interessanter machen…
Absolut. Ich glaube sogar, dass auch einige Männer den Sport noch attraktiver finden würden, wenn eine Frau mit dabei wäre.
Kommen wir von den Frauen zu den Männern. Welche Rennfahrer haben Sie am meisten beeindruckt?
Ich denke immer wieder gerne an die Zeit mit Kamui Kobayashi zurück, weil wir es mit ihm in seinem Heimatland Japan aufs Podest geschafft haben. So etwas Emotionales habe ich selten erlebt. Da stand eine ganze Haupttribüne hinter dem einheimischen Fahrer! Die japanische Fankultur ist einfach besonders. Aber auch die Zeit mit Sergio Perez war schön. Ich erinnere mich noch gut, wie er eine Runde vor dem Podiumsergebnis in Monza an den Kommandostand funkte, der Motor sei ausgegangen (lacht). In dem Moment brauchst Du das nicht, aber im Nachhinein kannst du drüber lachen.
Perez fährt jetzt Red Bull. War es aus Ihrer Sicht die richtige Entscheidung, ihn anzuheuern?
Aus meiner Sicht ist er nach wie vor ein sehr guter Fahrer. Er konnte sich schon damals perfekt auf unterschiedliche Situationen einstellen. 2012 war unser Auto nicht einfach zu fahren. Im Qualifying standen wir oft weiter hinten und haben es dann aufgrund von Sergios Reifenmanagement weit nach vorn geschafft. Da muss der Fahrer schon mit dem Auto umgehen können. Ich war übrigens auch größter Kritik ausgesetzt, als ich ihn eingestellt habe. Im Nachhinein kann ich sagen: Es war richtig, ihn in die Formel 1 zu bringen.
Und aus deutscher Sicht? Bei Ihnen fuhren Nick Heidfeld, Nico Hülkenberg, Pascal Wehrlein…
Alle hatten ihre Stärken und Schwächen. Mit Pascal habe ich leider nicht so lange zusammenarbeiten können, dabei hatte ich mich sehr auf ihn gefreut. Und ich hätte ihm gewünscht, dass er sein Potential besser hätte zeigen können.
Sie haben auch Sebastian Vettel als jungen Bub mit Zahnspange als Testfahrer bei BMW erlebt.
Mit Zahnspange, genau (lacht). Er war ein sehr sympathischer junger Mann. Dass er talentiert war, das hat man gesehen, sonst hätte man ihn nicht so gefördert. Und BMW war sehr überzeugt von ihm.
Wie enttäuscht war BMW-Sauber damals, als er das Team Richtung Red Bull verlassen hat? Oder war das egal?
Egal war es überhaupt nicht. BMW hätte ihn gerne behalten. Aber wenn er woanders so eine Chance bekommt, sollte man einen Fahrer nicht aufhalten. Das war sehr korrekt von BWM und dem Team. Es kann nie gut sein, wenn man einen Fahrer zu etwas zwingt. Und wir konnten ihm keine gleichwertige Chance bieten. Also haben wir ihn gehen lassen. Wobei er auch das gute Recht gehabt hat zu gehen. Glücklich war man darüber natürlich nicht.
Können Sie sich erklären, was derzeit bei ihm los ist? Hat er das Fahren verlernt?
Das Fahren hat er sicher nicht verlernt. So etwas verlernt man nicht! Es sind so viele Faktoren für den Erfolg und Misserfolg zuständig. Irgend etwas wird ihm fehlen, damit er sein Können zeigen kann – denn dass er ein ausgezeichneter Fahrer ist, zeigen seine Erfolge und WM-Titel.
Der nächste deutsche Fahrer ist Mick Schumacher. Sauber war immer dafür bekannt, junge Fahrer auszubilden. Was halten Sie von ihm?
Erst einmal ist es eine sehr schöne Geschichte. Und die Formel 1 braucht solche Geschichten. Es ist zwar immer schwer mit so einem Namen, dazu noch, wenn du in einem Team bist, das nicht vorne mitfährt. Aber die Ergebnisse sind derzeit nicht so wichtig, sondern eher seine sehr positive Entwicklung.
Kann es in der Welt des Simracing eines Tages auch solche Helden geben wie in der Formel 1?
Ich glaube schon. Der Prozess ist längst eingeleitet. Und auch wir wollen die Fahrer in den Vordergrund stellen. Es zählt nicht unser Programm, unsere Lounge, unser Simulator, sondern das sind alles Werkzeuge, um den Fahrer als Helden darzustellen. Und dass alle mit dem gleichen Simulator und den gleichen Einstellungen fahren, hilft dabei. Bei uns hat der Fahrer die zentrale Rolle.
Wenn ein Formel-1-Fahrer bei Ihnen mitfahren würde, würde er alles in Grund und Boden fahren?
Nein, auch er hätte es sehr schwer. Wir sehen, wenn ab und zu bei Fahrer, die von der realen Rennstrecke kommen, dass sie sich schwer tun. Der Grund: Man fährt ein Simrace anders als eines in der Realität. Den echten Rennfahrern wird manchmal schlecht, wo unsere Simracer schalten. Aber jemand, der talentiert ist, lernt das. Der lernt, dass du auf der virtuellen Rennstrecke anders fährst als auf der richtigen. Max Verstappen ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Er fährt ja alles, was geht. Er hat das Talent und die Fähigkeit, sich schnell anzupassen. Darauf wird es in Zukunft ankommen, denn die jungen Fahrer können das alle.
Bianca Garloff/Ralf Bach
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