Exklusives Interview mit Sebastian Vettel: Der Aston Martin-Pilot spricht über Verantwortung, Werte, Freundschaft, Mick Schumacher und seine Kinder. Ein besinnliches Gespräch zu Weihnachten
Herr Vettel, Sie sind jetzt 34 Jahre alt. Geht es für Sie immer noch nur darum, um jeden Preis ein Formel-1-Rennen zu gewinnen?
Sebastian Vettel (34): Der sportliche Ehrgeiz ist immer noch da, aber es gibt daneben viel mehr Dinge, die man wahrnimmt und mit denen man sich beschäftigt, wenn man ein wacher Mensch ist. Und je mehr Erfahrung man hat, desto effizienter kann man mit seiner Zeit umgehen – und sich auch um andere Dinge kümmern. Dazu kommt, dass mein Leben als Familienvater heute einfach anders ist.
Was hat sich geändert, seit Sie 2010 jüngster Weltmeister aller Zeiten geworden sind?
Zunächst einmal bin ichälter geworden, da ist es normal, dass man hoffentlich nicht stehen bleibt und sich weiterentwickelt. Gewisse Werte schlummern schon länger in einem. Aber man lebt sie mit zunehmendem Alter und Erfahrung offener aus und spricht sie direkter an. Ich beschäftige mich heute auf jeden Fall mit anderen Themen als vor elf Jahren. Es geht um Respekt, für Dinge ein- und aufzustehen. So etwas kann man nicht antrainieren, aber man kann mehr aus sich rauskitzeln, wenn man sich mehr mit den Themen beschäftigt.
Inwiefern verändert durch das Elternsein Ihre Sicht auf die Welt und die Formel 1?
Sehr. Ein Beispiel: Als ich anfing, hat es niemanden interessiert, was ich in den Helm brüllte, weil es kaum jemand hören konnte. Das ist heute anders. Ich habe oft Gegenwind für meine Emotionen bekommen. Dabei ist das ist mit den ersten Reaktionen von Fußballern auf dem Platz zu vergleichen. Ich finde: Man sollte seine Gefühle ausleben und zu ihnen stehen. Aber man muss nicht zehn Mal „Sch…“ brüllen. Man muss kein Heiliger sein. Aber man sollte zumindest zeigen, dass man einer sein will. Ich will meinen Kindern ja auch eine gewisse Sprache vorleben. Emotionen bleiben aber wichtig. Gerade im Sport. Manchmal ist man glücklich, manchmal wütend, manchmal traurig. Es ist keine Schande, genau das auch zu zeigen. Entscheidend ist aber die Art und Weise.
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Gibt es jemanden außerhalb Ihres Lebenskosmos, den sie bewundern?
Ich bin nicht gut darin, spontan Namen zu nennen. Viel entscheidender ist: Es gibt sie. Es sind diejenigen, die aufstehen, die Generationen wachrütteln können, die inspirieren, damit wir am Ende eine bessere Welt haben. Wer hätte denn gedacht, dass dieses junge schwedische Mädchen das Bewusstsein von Millionen von Menschen wachrüttelt, weil sie die Schule streikt, um auf die Probleme unseres Planeten hinzuweisen?
Wie wichtig ist es, zu seinen Werten und Idealen zu stehen?
Das ist wie in der Politik: Einerseits sollte man immer das große Ganze im Blick behalten. Dann tut man sich auch leichter, gewisse Dinge sein zu lassen, um das größere Ziel dahinter zu erreichen. Aber irgendwo ist eine klare Grenze. Bei allem, was man tut und sagt, sollte man immer noch in den Spiegel schauen können. Nehmen wir ein lustiges Beispiel: Wenn man mir anbieten würde, das schnellste Auto in der Formel 1 fahren zu dürfen und ich damit den nächsten Sieg und Titel garantiert hätte – ich aber dafür nackt im Auto sitzen müsste – würde ich sagen: Nein, danke! Man muss für seine Werte und Ideale einstehen. Aber jeder muss für sich selbst entscheiden, was er dafür zu tun bereit ist.
Auch innerhalb des Sports übernehmen Sie Verantwortung: Es war offensichtlich, dass Sie für Mick Schumacher, den Sohn ihres sportlichen Idols, eine Art Ziehvater gespielt haben. Haben Sie ihm gegenüber tatsächlich Verantwortung gespürt?
Nicht wirklich. Natürlich ist die Verbundenheit über Michael da. Aber Mick kommt aus einem sehr guten Elternhaus. Er ist ein sehr vernünftiger, gut erzogener junger Mann, der jetzt bereit ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Das macht er sehr gut. Seine Arbeitseinstellung erinnert mich an seinen Vater. Ich wünsche ihm von Herzen ein Auto, mit dem er im nächsten Jahr mehr Akzente setzen kann. Ich bin aber mehr Freund als jemand, der Verantwortung spürt. Für Freunde ist man immer da. Ich habe deswegen auch null Konkurrenzdenken ihm gegenüber und gebe meine Erfahrungen gerne weiter. Ich bin eh nicht der Typ, der auf eine paranoide Art und Weise alles abwägt, um eigene Vorteile zu haben und Spielchen zu spielen. Auch gegenüber Teamkollegen leuchtet es mir nicht ein, gewisse Dinge zurückzuhalten. Ich sehe da eher das große Ganze, dass wir als Team weiterkommen wollen. Wir sind ja heute eh in der Lage, durch Daten alles transparent zu sehen.
Würden Sie als Freund Mick raten, eines Tages zu Ferrari zu gehen, obwohl Sie selbst an der Scuderia gescheitert sind?
Ja, absolut. Auch wenn bei mir dort der ganz große Erfolg ausgeblieben ist. Aber ich hatte ja trotzdem schöne Jahre. Und die Marke wird immer etwas Besonderes sein. Ich würde ihm jedenfalls nicht wegen der paar Sachen, die bei mir nicht so gut geklappt haben, abraten. Menschen neigen dazu, in Erinnerungen das Glas immer halb leer zu sehen. Ich sehe es lieber halb voll und das Positive überwiegt. Zu viel motzen ist fehlplatziert, denn uns Formel-1-Fahrern geht es doch unterm Strich allen sehr gut.
Würde Sie es gerne sehen, wenn auch Ihre Töchter und Ihr Sohn eines Tages in ihre Fußstapfen treten?
Im Moment nicht. Das ist auch noch viel zu weit weg. Ich wünsche mir, dass meine Kinder glücklich sind, egal was sie machen. Ich habe da null Erwartungen. Ich habe schon so viele Leute erlebt, die viel Geld haben und trotzdem nicht glücklich sind. Und umgekehrt. Je größer der Kontostand, je größer das Glück – diese Formel stimmt nicht. Ich kenne viele Leute, die dem großen Geld nacheifern. Wenn die Zielflagge fällt, steht da aber kein Pott mit Glück. Glück ist, wenn man Spaß hat. Und das will ich für meine Kinder. Ich weiß, es klingt romantisch, besonders wenn man selbst Geld hat. Aber es ist nun mal das, an was ich glaube. Wenn es dann wirklich so ist, dass sie fahren wollen, dann würde ich sie darin unterstützen. Ich wäre aber auch nicht traurig, wenn das nicht so ist.
Also ist es ein Luxusproblem, wenn Ihr Aston Martin auch nächstes Jahr nicht schnell genug ist, um zu siegen?
Als Sportler ärgere ich mich und tue alles dafür, dass er schneller werden kann. Aber es ist nicht lebensbedrohlich, das stimmt. In diesem Sinne ist es ein Luxusproblem. Ich habe keine existienziellen Probleme und kann frei über mein Leben bestimmen, wie viele andere in Mitteleuropa auch. Das heißt allerdings nicht, dass ich in meinem eigenen kleinen sportlichen Mikrokosmos nicht alles tun will, um zu gewinnen. Sonst würde es keinen Sinn mehr machen.
Inwiefern ist es auch eine Form von Verantwortung, Aston Martin an die Spitze der Formel 1 zu führen?
In gewisser Weise spüre ich diese Verantwortung, ja. Die Motivation ist da, wir versuchen uns gemeinsam zu steigern und das Team versucht alles zu drehen und zu wenden, was möglich ist. Die neuen Regeln bieten 2022 eine große Chance. Aber wir müssen auch realistisch bleiben und dürfen nicht über die Favoritenrolle reden, sondern müssen schauen, wie gut unser Auto ist.
Wie lange bleiben Sie der Formel 1 noch treu, um ihre Botschaften zu transportieren?
Natürlich stellt man sich manchmal die Sinnfrage. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir der Gedanke noch nicht durch den Kopf gegangen wäre. Aber ich fahre nicht nur weiter, um Botschaften zu transportieren. Dann wäre ich mir selbst nicht treu und auch nicht mehr so gut. Wenn ich den inneren Antrieb und Ehrgeiz nicht mehr spüre und nur dabei bleibe, um Nachrichten zu vermitteln oder den Kontostand zu erhöhen, wäre das ein Verrat an der Generation, die noch kommt und diesen Traum lebt. Denn ich kann mich ja immer noch um gewisse Themen kümmern, wenn ich mal nicht mehr fahre. Aber noch brennt das Feuer.
Interview: Bianca Garloff und Ralf Bach
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